Der Zeitdieb
fragte Tolpatsch.
Wen maß ihn mit einem durchdringenden Blick. »Das war entweder eine sehr komplexe Überlegung, Tolpatsch, oder du hast auf eine recht dumme Weise versucht, eine Metapher zu sehr zu beanspruchen. Welche dieser beiden Möglichkeiten trifft deiner Meinung nach zu?«
Tolpatsch starrte auf seine Füße hinab, sah dann zum Himmel hinauf und richtete den Blick schließlich auf Wen.
»Ich glaube, ich bin dumm, Meister.«
»Gut«, sagte Wen. »Es ist ein glücklicher Zufall, dass du mein Schüler bist, Tolpatsch, denn wenn ich fähig bin, dir etwas beizubringen, so kann ich jeden unterrichten.«
Tolpatsch wirkte erleichtert und verbeugte sich. »Du erweist mir zu viel Ehre, Meister.«
»Mein Plan hat noch einen zweiten Teil«, sagte Wen.
»Ah«, erwiderte Tolpatsch mit einem Gesichtsausdruck, von dem er glaubte, dass er damit klug aussah. Doch in Wirklichkeit wirkte er wie jemand, der sich an schmerzvolle Verdauungsstörungen erinnerte. »Ein Plan mit einem zweiten Teil ist immer ein guter Plan, Meister.«
»Besorge mir Sand in allen Farben, und einen flachen Felsen. Ich werde dir zeigen, wie man die Strömungen der Zeit sichtbar machen kann.«
»Oh, gut.«
»Und mein Plan hat noch einen dritten Teil.«
»Einen dritten Teil?«
»Ich kann einige Talentierte lehren, ihre Zeit zu kontrollieren, sie langsamer und schneller verstreichen zu lassen, sie zu speichern und in eine beliebige Richtung zu lenken, so wie das Wasser der Bäche. Doch ich fürchte, die meisten Leute gestehen sich solche Fähigkeiten selbst nicht zu. Wir müssen ihnen helfen. Wir werden… Apparate bauen, die Zeit aufbewahren und sie dort freisetzen, wo sie gebraucht wird. Die Menschheit kann sich nicht weiterentwickeln, wenn sie dahintreibt wie Blätter auf einem Fluss. Die Menschen müssen imstande sein, Zeit zu vergeuden, neue Zeit zu schaffen, Zeit zu verlieren und zu kaufen. Darin wird unsere wichtigste Aufgabe bestehen.«
Tolpatsch schnitt eine Grimasse, als er zu verstehen versuchte. Schließlich hob er langsam die Hand.
Wen seufzte.
»Du willst mich fragen, was mit dem Mantel passiert ist, nicht wahr?«, vermutete er.
Tolpatsch nickte.
»Vergiss ihn, Tolpatsch. Der Mantel ist nicht wichtig. Denk nur daran, dass du das leere Blatt Papier bist, auf dem ich schreiben werde, wie…« Wen hob die Hand, als Tolpatsch den Mund öffnete. »Nur eine Metapher, eine weitere Metapher. Und jetzt kümmere dich bitte um das Mittagessen.«
»In metaphorischer Hinsicht oder wirklich, Meister?«
»Sowohl als auch.«
Einige weiße Vögel stiegen aus den Baumkronen auf, drehten mehrere Kreise und flogen dann über das Tal.
»Es wird Tauben geben«, sagte Wen, als Tolpatsch forteilte, um ein Feuer zu entzünden. »Jeden Tag wird es Tauben geben.«
Lu-Tze ließ den Novizen im Vorzimmer zurück. Jene, die ihn nicht mochten, hätte es vielleicht überrascht zu beobachten, wie er seine Kutte zurechtrückte, bevor er die Gemächer des Abts betrat. Zwar achtete Lu-Tze keine Regeln, dafür aber Personen. Er drückte die Zigarette aus und klemmte sie sich hinters Ohr. Seit fast sechshundert Jahren kannte er den Abt und respektierte ihn. Es gab nicht viele Personen, die Lu-Tze respektierte; die meisten tolerierte er nur.
Normalerweise kam der Kehrer mit anderen Leuten umso besser zurecht, je niedriger ihr Rang war. Und andere Leute kamen mit ihm umso schlechter zurecht je höher ihr Rang war. Was die ranghohen Mönche betraf… So erleuchtete Personen konnten sicher nichts Schlechtes denken, aber der Anblick eines Lu-Tze, der frech und dreist durch den Tempel schlenderte, befleckte einige Karmas. Ein einfacher Kehrer, dem eine formelle Ausbildung ebenso fehlte wie ein offizieller Status, mit seinen dummen kleinen Eigenheiten und einem unglaublichen Erfolg… Gewisse Denker fühlten sich von der Gegenwart einer solchen Person beleidigt. Deshalb war es überraschend, dass der Abt ihn mochte, denn nie hatte es einen Bewohner des Tals gegeben, der sich mehr vom Kehrer unterschied. Der Abt war nicht nur gelehrter als alle anderen, sondern auch sehr unpraktisch veranlagt und überaus anfällig.
Doch Überraschung bildete die Natur des Universums.
Lu-Tze nickte den einfachen Akolythen zu, die die große, lackierte Doppeltür öffneten.
»Wie geht es Hochwürden heute?«, fragte er.
»Die Zähne machen ihm noch immer Probleme, o Lu-Tze, aber er wahrt die Kontinuität und hat gerade die ersten Schritte hinter sich gebracht, auf eine sehr
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