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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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um zu verhindern, dass dein kleiner Trick der Welt enormen Schaden zufügt, und du weißt nicht, wie du es angestellt hast?«
    »Nein!«
    »Dann bilden wir dich aus. Es ist ein gutes Leben mit hervorragenden Aussichten.« Soto schniefte und fügte hinzu: »Sie dürften zumindest
    besser sein als diejenigen, die du derzeit zu erwarten hast.«
    Neulich versuchte, den Kopf noch ein wenig weiter zu drehen. »Was
    für eine Art von Ausbildung meinst du?«
    Der Mann seufzte. »Stellst du noch immer Fragen, Junge? Kommst du
    mit oder nicht?«
    »Wie denn?«
    »Hör mal, ich biete dir die Chance eines Lebens.«
    »Warum ist es die Chance eines Lebens, Herr Soto?«
    »Nein, das hast du falsch verstanden. Ich – und damit meine ich mich –
    biete dir, Neulich Ludd, die Chance, ein Leben zu haben. Und das ist mehr, als du gleich haben wirst.«
    Neulich zögerte und spürte ein sonderbares Prickeln. In gewisser
    Weise fiel er noch immer. Er wusste nicht, woher er das wusste, aber das Wissen war ebenso real wie das Kopfsteinpflaster dicht unter ihm. Wenn er die falsche Entscheidung traf, würde sich der Sturz fortsetzen. Bisher hatten sich kaum Probleme ergeben, aber die letzten Zentimeter würden 62

    ziemlich hart werden.
    »Ich muss zugeben: Die Richtung, in die sich mein Leben derzeit
    entwickelt, gefällt mir nicht sonderlich«, sagte er. »Es könnte vorteilhaft sein, eine neue Richtung einzuschlagen.«
    »Gut.« Der Mann mit dem unglaublichen Haar holte etwas unter seiner
    Kutte hervor. Es sah nach einem zusammengeklappten Abakus aus, aber
    als er das Objekt öffnete, verschwanden einige Teile mit kleinen
    Lichtblitzen – sie schienen einen Ort aufzusuchen, wo man sie nicht
    mehr sehen konnte.
    »Was machst du da?«
    »Weißt du, was kinetische Energie ist?«
    »Nein.«
    »Das ist etwas, wovon du zu viel hast.« Sotos Finger tanzten über die Perlen, verschwanden manchmal und erschienen dann wieder. »Ich
    schätze, du wiegst etwa fünfundfünfzig Kilo.«
    Er verstaute den kleinen Apparat in einer Tasche und ging zu einem
    nahen Karren. Dort verrichtete er etwas, das Neulich nicht sehen
    konnte, und anschließend kam er zurück.
    »In einigen Sekunden wirst du deinen Fall beenden«, sagte er, bückte sich und stellte etwas unter dem Jungen auf den Boden. »Sieh darin einen neuen Anfang in deinem Leben.«
    Neulich fiel. Er prallte auf den Boden. Es leuchtete purpurn in der
    leeren Luft, der Karren auf der anderen Straßenseite sprang dreißig
    Zentimeter nach oben und fiel dann zurück. Ein Rad löste sich und
    rollte davon.
    Soto bückte sich erneut und schüttelte Neulichs schlaffe Hand.
    »Wie geht’s?«, fragte er. »Irgendwelche blauen Flecken?«
    »Es tut ein bisschen weh«, antwortete der ein wenig mitgenommene
    Neulich.
    »Vielleicht bist du schwerer, als du aussiehst. Wenn du gestattest…«
    Soto ergriff Neulich unter den Schultern und begann, ihn durch den
    Dunst zu ziehen.
    »Kann ich gehen und…?«
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    »Nein.«
    »Aber die Gilde…«
    »Du existierst nicht in der Gilde.«
    »Das ist doch absurd. In den Aufzeichnungen der Gilde ist mein Name
    aufgeführt.«
    »Nein. Wir sorgen dafür, dass er aus den Aufzeichnungen
    verschwindet.«
    »Wie denn? Man kann die Geschichte nicht einfach neu schreiben!«
    »Bist du bereit, einen Dollar darauf zu wetten?«
    »Wem habe ich mich angeschlossen?«
    »Wir sind die geheimste Geheimgesellschaft, die du dir vorstellen
    kannst.«
    »Wirklich? Wer seid ihr?«
    »Die Geschichtsmönche.«
    »Habe nie von euch gehört.«
    »Na bitte. So gut sind wir.«
    Und so gut waren sie.
    Und dann war die Zeit einfach vorbeigeströmt.
    Und jetzt kehrte die Gegenwart zurück.

    »Ist alles in Ordnung mit dir, Junge?«
    Lobsang öffnete die Augen. Sein Arm fühlte sich an, als versuchte
    etwas, ihn aus der Schulter zu reißen.
    Er sah am Arm entlang zu Lu-Tze, der flach auf der schwankenden
    Seilbrücke lag und ihn festhielt.
    »Was ist passiert?«
    »Ich glaube, die Aufregung war zu viel für dich, Junge. Oder dir wurde schwindelig. Sieh nur nicht nach unten.«
    Ein lautes Brummen ertönte unter Lobsang, wie von einem Schwarm
    sehr zorniger Bienen. Ganz automatisch drehte er den Kopf.
    »Ich habe gesagt, sieh nicht nach unten! Entspann dich.«
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    Lu-Tze stand auf. Er hob Lobsang so hoch, als wäre er leicht wie eine Feder, bis sich die Sandalen des Jungen über dem Holz der Brücke
    befanden. Unten hasteten Mönche über die Kabelwege und riefen.
    »Halt die Augen geschlossen… sieh

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