Der Zeitenherrscher
zweite Knopf. Ich bin mir sicher, ich habe dieses Hemd schon einmal gesehen. Aber es war nicht hier auf dem Schiff.“
„Stimmt!“, bestätigte die Krähe knapp.
„Ich habe es auch nicht auf einer unserer Zeitreisen gesehen“, sagte Simon, und die Krähe bestätigte seine Überlegung wieder mit einem knappen: „Stimmt!“
„Dann … dann muss ich es außerhalb dieser Schattengreifer-Welt gesehen haben. Irgendwo …“
Die Krähe rutschte nahe an ihn heran. Sie zitterte vor Aufregung und Vorfreude. „Ja?“
„Irgendwo … in meiner Welt?“ Simon strengte sich an. Seine Finger nestelten erregt an dem zweiten Knopf des Hemdes. „In meinem Ort? Meiner Schule? Oder gar … bei mir zu Hause?“Die Finger hielten inne. Simons ganzes Gesicht hellte sich auf. Jetzt wusste er es. Er sah es wieder vor sich, dieses Hemd. Warum war er nicht früher darauf gekommen? Natürlich kannte er es. Er war sozusagen schon immer an jedem Tag seines Lebens daran vorbeigelaufen.
Vor seinem geistigen Auge sah er sein Zuhause vor sich. Die Wohnzimmerwand, an der die unzähligen Urkunden, Fotos und Abzeichen seines Vaters hingen. Zeugen des großen Erfolgs, den der Vater jahrelang als Ruderer gehabt hatte. Zwischen zwei Urkunden, direkt unterhalb einer goldenen Medaille mit einem Ruderboot, hing ein Foto, das Simons Vater vor einem roten Skiff zeigte, vor seinem roten Einer-Ruderboot, mit dem er zahlreiche Wettkämpfe gewonnen hatte. Damals, als er in Simons Alter war. Mit stolzem, überglücklichem Gesicht war er auf dem Foto zu sehen. Simon wusste, dass es der Tag des ersten großen Sieges seines Vaters in einer Ruder-Regatta war. Freudig hielt der Vater die goldene Medaille in die Kamera. Und auf diesem Foto trug er genau das Hemd: blau, mit weißen Plastik-Knöpfen, bis auf den zweiten, der durch einen Holzknopf ersetzt worden war.
Simon war es, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen. Für einen Moment wurde ihm schwindlig, und er hielt sich an der Reling fest.
„Das … das Hemd!“, stammelte er ergriffen. „Es gehört … meinem Vater!“
Die Krähe strahlte ihn an. „Perfekt. Ich wusste doch, dass du dich erinnern würdest.“
Simon fing sich allmählich wieder. „Mein Vater? Was hat mein Vater mit diesem Schiff zu tun?“
„Erinnerst du dich an unser erstes Gespräch? Damals erzählte ich dir von einem Jungen, dem als Einzigem bisher die Flucht vom Seelensammler gelungen war.“
„Ja, natürlich erinnere ich mich daran. Aber du meinst doch nicht etwa …“
„Dieser Junge war dein Vater, Simon!“
„Das … das ist unmöglich. Mein Vater … Er hätte mir doch …“ Simon verstummte. Plötzlich fiel ihm das Gespräch mit seinem Vater wieder ein, als sie am Küchentisch gesessen hatten und der Vater ihm, so ernst wie noch nie zuvor, Fragen gestellt hatte. Konnte es sein, dass er vielleicht in diesem Moment mit ihm über den Schattengreifer hatte sprechen wollen? Er hatte Simon gezielt nach den Träumen befragt. Vielleicht, weil er diese Träume kannte?
Simon wurde es heiß und kalt. Sein Vater war tatsächlich hiergewesen?!
Er sprang von der Reling auf. „Wann war mein Vater auf dem Schiff?“, fragte er die Krähe aufgebracht. „Und wie hat er überhaupt flüchten können?“
„Beruhige dich“, mahnte der Vogel. „Ich werde dir alles erzählen. In Ruhe.“
Simon atmete tief ein und setzte sich wieder auf die Reling . Auch wenn es ihm schwerfiel.
Die Krähe begann zu erzählen: „Ich gebe das nicht gern zu, aber schau dich um. Dieses Schiff ist ein Meisterwerk. Die Zeitmaschine mit ihren Möglichkeiten. Die Fähigkeit, die Natur in einem solchen Maße zu beherrschen, dass er die Reisen unternehmen kann – all dies ist höchste Magie. Es hat den Schattengreifer Jahrhunderte gekostet, dies alles auszudenken, zu konstruieren und in seine Gewalt zu bekommen.“
„Das kann ich mir vorstellen.“
„Also wollte er auch jemanden an Bord haben, der mit Schiffen umgehen kann. Jemanden, der bewiesen hat, dass er sich hervorragend auskennt.“
„Meinen Vater?“
„Genau. Der Schattengreifer entdeckte ihn während einer seiner Zeitreisen. Er hat deinen Vater eine Regatta gewinnen sehen. Da musste dein Vater so alt sein wie du heute. Es war eine Regatta für Ruderboote.“
„Ich weiß, welches Rennen du meinst. An diesem Tag hatte mein Vater das blaue Hemd an. Er hatte in seinem roten Skiff alle anderen abgehängt.“
„Nicht nur das. Er bewies auch enormes Wissen. Dein Vater
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