Der Zeitenherrscher
Zeitenkrieger ohnehin noch schliefen, hatte Simon endlich Zeit, mit der kleinen Krähe zu sprechen. Es gab im Moment nichts, was ihm wichtiger gewesen wäre.
Er setzte einen Fuß auf eine der Webleinen, die in den Wanten als Sprossen dienten, und zog sich nach oben. Die Wante schwang hin und her. Der Mast knarrte unter der Belastung.
Schon wollte sich Simon weiter nach oben arbeiten, als aus dem Korb vorwitzig der Kopf der kleinen Krähe hervorlugte.
„Oh, du bist wach“, krächzte sie ihm zu. „Na, endlich!“
Sie schwang sich aus dem Korb, kam zu ihm heruntergeflogen und setzte sich auf die Reling. „Du wolltest wohl zu mir?“
Simon nickte.
„Na, dann klettere lieber mal wieder raus aus dem Spinnennetz. Hier unten können wir ohnehin viel besser plaudern.“
Simon sprang auf das Deck und setzte sich zu der Krähe auf die Reling.
„Wie geht es dir?“, erkundigte sich Simon sofort, noch bevor die Krähe einen Ton sagen konnte.
„Gut!“, kam die knappe Antwort.
Simon grinste. Es war der Krähe anzusehen, dass sie die Heimlichtuerei um ihre Person genoss, dass sie Spaß daran hatte, ihn ein wenig zappeln zu lassen. Und Simon gönnte ihr auch diesen Moment. Dennoch: Er wollte sie dieses Spiel nicht zu sehr ausreizen lassen. Er brauchte dringend Antworten.
Die Krähe ruckte mit dem Kopf. „Und wie geht es dir so?“
„Jetzt wieder gut. Aber ich hatte wirklich Angst, wir würden es nicht mehr hierher schaffen. Ich war mir sicher, der Seelensammler würde ohne uns zurückreisen.“ Er streckte eine Handaus und strich der Krähe über das Gefieder. „Ohne dich hätten wir das Schiff auch niemals rechtzeitig erreicht und würden jetzt im Wilden Westen festsitzen.“
„Ach was“, krächzte die Krähe zurück. „Ihr hättet schon einen anderen Weg gefunden.“
„Das glaube ich nicht“, erwiderte Simon und war sich bewusst, dass es genau diese Worte waren, welche die Krähe jetzt hören wollte. „Wir stehen tief in deiner Schuld.“
Der Vogel schwieg für einen Moment, anscheinend, um das Gehörte richtig auszukosten, dann erwiderte sie in ruhigem Ton: „Ich mag euch. Alle. Und ich kann verstehen, dass ihr euch gegen den Schattengreifer wehren wollt. Wenn ich wieder mal etwas für euch tun kann, lasst es mich wissen. Ich werde euch unterstützen, soweit es mir möglich ist.“
„Soweit es dir möglich ist“, wiederholte Simon und wagte seine erste Frage. „Woher hast du diese Zauberkräfte? Hat er sie dir verliehen?“
Die Krähe schüttelte heftig den Kopf. „Oh, nein! Und ich vermute, es hat ihn auch ordentlich überrascht, dass jemand außer ihm über etwas Zauberkraft verfügt.“
Simon lachte. „Etwas Zauberkraft? Bitte nicht so bescheiden! Du hast die Zeit angehalten. Du hast es mit Hunderten von Krähen aufgenommen und sogar Soldaten einer Kavallerie bezwungen. Das ist doch wohl mehr als nur etwas Zauberkraft!“
Nun wirkte die Krähe sichtlich geschmeichelt. Doch sie wiegelte ab: „Nein, glaub mir, es ist nicht sehr viel, was ich an Magie beherrsche. Um ein paar Artgenossen ordentlich zu erschrecken, reicht es wohl aus, wie du gesehen hast. Und auch, um die krumme Krähe zu besiegen, hat es etwas Zauber gebraucht.Das gebe ich zu. Aber die Soldaten habe ich ohne Magie besiegen können. Allein durch die Hilfe meiner vielen Artgenossen. Als ich sie um Hilfe bat, hat es mir vielleicht etwas geholfen, dass ich ihnen zuvor meine Zauberkunststücke zeigen konnte – du weißt schon, durch den Kampf gegen die krumme Krähe. Aber der Angriff auf die Soldaten ist völlig ohne Magie vonstattengegangen.“ Und sie kicherte und gluckste zufrieden in sich hinein bei dem Gedanken an die Männer, wie sie schreiend von ihren Pferden gestürzt waren.
„Und als du die Zeit angehalten hast?“
Die Krähe stutzte. „Das hatte mich selbst überrascht. Ich wusste nicht, dass ich eine solche Fähigkeit besitze. Als ich euch in Not sah, erinnerte ich mich an die Zauberformel und habe es einfach versucht. Zum Glück reichten meine Kräfte dafür aus.“
„Aber woher hast du diese Kräfte?“, hakte Simon nach. „Woher kennst du diese Zauberformeln?“
Die Krähe wurde plötzlich ruhiger, beinahe melancholisch. Sie blickte auf das Meer und sagte: „Ich war einmal wie du. Frei und voller Ideen. Ich hatte Freunde und lebte in einer Welt, die nichts wusste von Zeitreisen und diesem Seelensammler. Dann nahm der Schattengreifer mich zu sich in sein Reich. Er nahm mir meinen Schatten und auch mein
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