Der Zeitläufer
denke, ein notwendiger Bestandteil des Zeitablaufes ist, der nicht zurechtgebogen, niemals gestrichen, niemals ungeschehen gemacht werden kann!
Ich nahm ihn also mit in mein Hotelzimmer, drückte ihm einen Drink in die Hand und wartete darauf, daß er sich langsam öffne. Er war eigentlich von recht pathetischem Wesen, aber ich kann trotzdem nicht behaupten, er habe mir leid getan. Wie soll einem auch ein Gott leid tun, der an der Schwelle seines Königreichs steht, auch wenn er es nicht weiß? Ich glaube, wenn man ihm die Wahl ließe, würde er keine Sekunde zögern, den Weg zu wählen, der seine wahre Bestimmung ist. Ich bin überzeugt, es gibt mehr Menschen als man glaubt, die einer langlebigen Anonymität dieser Art Glorie vorziehen würden, und sei sie auch noch so kurz.
Wir tranken und redeten etwa eine halbe Stunde lang. Dann kramte ich in meinem Koffer herum, als habe ich dort das Tonbandgerät und nicht in meiner Jackentasche. Ich holte das Band heraus mit der Aufnahme von Lacey, wechselte es gegen das aus, das ich während des Abends benützt hatte und zeigte es ihm dann. Ich erzählte ihm, das sei ein Versuchsmodell, an dem ich seit einiger Zeit arbeitete, aber es habe noch ein paar kleine Schönheitsfehler, die erst beseitigt werden müßten, ehe man es auf den Markt bringen könne. Ich stellte es zwischen uns auf den Teppich, knipste es an und wartete auf das große Erwachen.
Ich hatte damit gerechnet, er würde begeistert aufspringen und so etwas wie »Heureka!« rufen, doch das tat er nicht. Er trank und schlug mit der Fußspitze den Rhythmus dazu. Manchmal lächelte er oder sagte, dies oder jenes sei in Ordnung. Vom Tenor meinte er, für diese Art Band sei er ein bißchen zu fleißig.
Ich starrte ihn enttäuscht und ungläubig an und hatte das Gefühl, ein Stück künftiger Geschichte falle in sich zusammen wie ein zerstochener Ballon. Es war ein Alptraum. Vielleicht war in seinen Augen ein sehnsüchtiger Schimmer, aber der war dann jedenfalls so unbestimmt, daß alles andere ihn überdeckte. Noch immer war er klein und verängstigt; gleichzeitig jedoch zu klug, als daß er zugab, die Sirenentöne zu hören, bei denen doch nur seine eigene Stimme fehlte ...
Jetzt hatte er also Lacey gehört. Fast hätte ich damit gerechnet, er müsse nun sofort nach Kansas City rasen, um in Lacey's Band spielen zu dürfen; für mich wäre eigentlich gar nichts anderes denkbar gewesen, aber der Augenblick der Begegnung mit einem Großen ging vorüber, und er war noch immer dieses unbestimmte Nichts, das er vorher gewesen war. Das, was er hörte, gefiel ihm. Aber er war nicht so sehr aufgewühlt, daß er Curry aus eigenem Entschluß verlassen hätte. So schien es wenigstens.
Es war dann doch ein wenig anders. Sicher war, daß Curry ihn nicht gefeuert hatte, denn Curry gab in einem Zeitungsinterview zu, daß Turnhill ihm während einer Tournee davongelaufen war und zwar genau bei dieser, die ihn nach Florence geführt hatte. Also mußte ihm doch etwas die Wurzeln aus dem unergiebigen Boden gezogen haben, wenn es auch nicht Laceys Musik war. Und dieses Etwas mußte lange auf den richtigen Augenblick gelauert haben, bis es durch Angst und erschüttertes Selbstvertrauen greifen und den Funken zünden konnte, der dort geschlafen hatte.
Im Grunde war die Erklärung ganz einfach. Ich habe eine Kardinalregel der Transferleute durchbrochen, weil ich begriff, daß man ihn aus seiner erschreckenden Apathie herausreißen mußte.
Und da sah ich dann wieder, daß den Transferleuten selbst das nicht paßt, worin sie herumpfuschen. Die Regel ist klar, vernünftig und logisch, aber nur deshalb, weil der Faktor Zeit in seiner Wirkungsweise niemals richtig verstanden wurde und vermutlich auch niemals verstanden werden wird. Wenn sie sagen, daß nichts von dem, was sich weiter entlang der Zeitlinie zeigt, ergibt oder tut, zurückgenommen werden kann, dann ist ihre Logik schlechterdings falsch. Fälle, in denen sich eindeutige Wirkungen gezeigt haben, gibt es. Das Muster ist gesetzt, und wenn irgendein Verrückter in einem mißverstandenen Versuch der Menschheit eine Wohltat zukommen läßt, ehe sie fällig ist, so muß der Versuch mißlingen. Er kann zum Beispiel nicht der Menschheit hundert Jahre vor Erfindung einer Krebsheilmethode eben diese Methode zum Geschenk machen. Etwas oder jemand hält diesen an sich gewiß löblichen Versuch auf, und wenn es nur ein Laborgerät ist, das erst noch erfunden werden muß, um diese Methode
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