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Der zeitlose Winter

Der zeitlose Winter

Titel: Der zeitlose Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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Bibliothek als Geburtsrecht gewährt wurde. Sein Vater war Radscha einer Provinz in Nepal und befand sich auf einer Expedition in Tibet, als seine Reisegesellschaft von Barbaren überfallen wurde. Nur der Radscha und seine Frau überlebten den Angriff. Sie wurden von zwei Ankoriten gefunden, die auf der Jagd gewesen waren. Diese brachten sie in die Bibliothek, wo die Frau einen Sohn gebar.«
    »Tibet?«, fragte Ham ungläubig. »Sagtest du, die Bibliothek befindet sich in Tibet?«
    »Ja. Warum fragst du?«
    »Entschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen«, sagte Ham und winkte ab. »Bitte, erzähl weiter.«
    »Nach einigen Jahren durften seine Eltern in ihren Palast zurückkehren, aber das Kind, das bereits in höchstem Maße prophetisch begabt war, wollte als neuer Lehrer dort bleiben. Als der Junge zum Mann herangewachsen war, entschloss er sich, der Außenwelt einen Besuch abzustatten. Er hatte festgestellt, dass das Leben in dem Berg, der die Bibliothek beherbergte, zu wenige Möglichkeiten bot, das Dasein in seiner Ganzheit auszukosten. Er wollte sich die Welt mit eigenen Augen ansehen, statt immer nur über sie zu lesen.
    Im Laufe seiner Studien war er zu dem Schluss gekommen, dass vieles von dem, was er in der Bibliothek des Himmels gelernt hatte, für die Außenwelt von großem Nutzen sein konnte. Das bedeutete jedoch, dass er das Leben in der Bibliothek aufgeben musste. So entsagte er also im Alter von dreißig Jahren dem Palast seines Vaters, einer schönen Frau und allen irdischen Zielen, um in Askese zu leben. Ein besinnliches Leben hielt er für den idealen Weg zur Erleuchtung. Er lehrte den Pfad, der zur Befreiung vom Elend des menschlichen Leidens führte: den Pfad ins Nirwana, wo das Feuer allen Begehrens erloschen ist und das Selbst im Unendlichen aufgeht.«
    Duk trat vor, um die Geschichte zu Ende zu erzählen. »Als ich der Meinung war, alles getan zu haben, was ich in diesem Leben tun konnte, kehrte ich in die Bibliothek zurück – von einigen meiner Taten in dieser Zeit habt ihr bereits gehört. Schließlich bin ich gestorben. Als ich wiedergeboren wurde, ging ich zunächst noch einmal in die Bibliothek zurück. Mein neues Leben war für mich jedoch eine vollkommen unbekannte Erfahrung, und ich beschloss deshalb, es in der Welt der Sterblichen zu verbringen. Daran habe ich so viel Gefallen gefunden, dass ich es seitdem immer wieder getan habe.«
    »Du hast beschlossen, wieder ins Leben zurückzukehren?«, fragte Ham skeptisch.
    »Nein«, sagte Duk. »Obwohl ich das hätte tun können. Stattdessen habe ich es vorgezogen, ein neues Leben zu leben, und mein Dasein ist dadurch unendlich bereichert worden. Stell dir doch einmal vor – wäre ich nicht in meinem fünfzehnten Leben, hätte ich euch Jungs niemals kennen gelernt.«
    »Ich dachte, du hättest gesagt, dass du fünfzehn Mal gestorben bist«, sagte Fischmehl. »Müsste das dann nicht dein sechzehntes Leben sein?«
    »Ich sehe schon, warum du dich mit ihm abgibst«, sagte Duk zu Bragi. »Der Junge kann rechnen.«
     

     
    Öllaternen aus dem Dorf leuchteten den vier Reisenden den Weg. Sie wanderten nach Norden, wo sie den Worten des Buddhas zufolge einen leichteren Zugang zur Stadt und zum Flughafen haben würden. Als sie die Küste erreichten, wandte sich Hammurabi in Richtung Süden, doch ein Wort des Kindes ließ ihn innehalten. »Wartet«, sagte Duk. »Hier ist etwas, das ihr euch ansehen solltet.«
    Nicht weit vom Weg entfernt führte Duk sie eine steile Anhöhe hinauf, die sich über einer kleinen natürlichen Bucht erhob. Von dichten Bäumen umgeben, bot sich ihnen dort ein überwältigender Anblick: Ein Wasserfall ergoss sich in Kaskaden von der hohen Klippe in einen tiefen See. Unterhalb dieses Sees stürzte ein zweiter Wasserfall von einer Klippe, die dreimal so hoch war wie die erste. An diesen schloss sich schließlich ein dritter Wasserfall an, dessen Fluten sich in den Ozean ergossen – zumindest hätten sie das getan, wäre das Wasser nicht auf spektakuläre Weise zu Eis erstarrt. Die Bögen der Wasserfälle und das Rauschen des Schaums schienen blitzartig zu einer funkelnden Kristallstadt aus Türmen und Pflanzen gefroren zu sein. Das Licht brach sich darin und wurde zurückgeworfen. Es war einfach atemberaubend.
    »Noch nie habe ich etwas so Schönes gesehen«, flüsterte Ham. »Ich hätte nicht gedacht, dass mir vor meinem Eingang ins Paradies etwas so Wunderbares offenbart werden würde.«
    »Das ist die

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