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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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stärker machte, bohrte er das Taschenmesser in den Teller von Galluzzos wandernder Hand. Das Taschenmesser drang zur Hälfte ein, es durchlöcherte beinahe das Fleisch von einer Seite zur anderen.
      »Iiiiiiihhh!« machte der Buchhalter, und es klang ganz genau wie ein abgestochenes Schwein.
    »Was ist los? Ist was passiert?« fragten Stimmen im Dunkeln.
      »Nichts, nichts«, sagte Galluzzo und versuchte, normal zu sprechen.
      »Hast du einen zu großen Schwanz gefunden? Tut dir jetzt der Arsch weh, Buchhalter?« fragte ironisch ein Junge.
    »Still jetzt! Schluß!« sagten andere.
      Unterdessen befreite Michilino unter Zuhilfenahme der linken Hand das Taschenmesser aus dem Fleisch.
    »Iiiiiiihhh! Iiiiiiihhh!« quiekte der Buchhalter, allerdings leise,
    während er aus der Hose ein Taschentuch zog und sich damit die Hand umwickelte. Danach stand er auf und stürzte auf die Toilette. Er hatte nichts gegen Michilino gesagt. Er hatte ihn nicht einmal mehr angesehen. Michilino nahm sein Taschentuch, wischte die Klinge ab und ließ es auf den Boden fallen. Mamà würde er erzählen, er hätte es verloren. Eine läßliche Lüge, ohne Bedeutung. Er sah, daß Gulluzzo aus der Toilette kam und das Taschentuch fest um die Hand gewickelt hatte. Er eilte zum Ausgang. Mit Sicherheit würde er niemandem erzählen, was ihm passiert war, und für eine bestimmte Zeit konnte er die Hand nicht mehr gebrauchen, um Sünden zu begehen und andere dazu zu bringen. Und das würde dem lieben Herrn Jesus weitere Leiden ersparen. Jetzt konnte er sich den Film in aller Ruhe ansehen.

    Am letzten Mittwoch im Monat, pünktlich um vier Uhr nachmittags, stellte Michilino sich in der Kirche ein, weil Monsignore Baldovino Miccicchè, Militärkaplan, mit der Vorbereitung von ungefähr zwanzig Jungen und Mädchen für die heilige Firmung begann. Monsignore Miccicchè war ein großer, dicker Mann mit rötlichen Haaren und machtvoller Stimme. Um die Ärmel seiner Kutte hatte er die goldenen Rangabzeichen eines Tenente und über dem Herzen ein Liktorenbündel. Er zog das linke Bein nach. Und das war das erste, worüber er sprach.
      »Ich habe den Großen Krieg mitgemacht, ohne verwundet zu werden. Aber seht ihr, daß ich humple? Und wißt ihr, warum? Weil ich vor kurzem verwundet worden bin. Wodurch bin ich verwundet worden? Durch einen Wurfspieß? Und wer hat diesen Wurfspieß auf mich geschleudert? Ein Abessinier hat ihn auf mich geschleudert. Und wo ist das alles passiert? Das alles ist in der Schlacht bei der Eroberung von Makallé passiert, bei der ich die Ehre hatte, als Kaplan teilzunehmen, innerhalb der Ränge der Freiwilligen-Miliz Nationale Sicherheit!«
      Michilino sprang von seinem Stuhl hoch und fing an, in die Hände zu klatschen. Die anderen folgten ihm. Heilige Muttergottes, einen Helden hatte er da vor sich! Einen Helden, der bei der Eroberung von Makallé mitgekämpft hatte und auch noch von einem wilden Bissinier verwundet worden war! Fast kamen ihm die Tränen vor innerer Bewegung.
      Monsignor Miccichè verbeugte sich zum Dank, hob einen Arm, was »Ruhe!« bedeutete, und wollte gerade weiterreden, doch Michilino kam ihm zuvor.
    »Den Bissinier hat Euer Hochwürden getötet?«
    Der Geistliche war leicht verwirrt.
    »Ich weiß nicht, ich glaube, er ist getötet worden. Ich habe es
    nicht genau sehen können, ich war ja auf die Erde gefallen.«
      »Und das Elite-Schwarzhemd Balduzzo Cucurullo, der bei der Eroberung von Makallé gestorben ist, haben Euer Hochwürden gekannt?«
    »Gewiß. Er ist christlich in meinen Armen verstorben.«
      »Und was tun Euer Hochwürden, werdet Ihr nach Bissinien zurückkehren?«
      Michilino konnte die Fragen nicht mehr zurückhalten. Monsignor wirkte ein kleines bißchen gereizt.
    »Bleib für den Augenblick sitzen, Junge. Wie heißt du?«
    »Sterlini Michelino.«
      »Wißt ihr denn auch, warum wir nach Abessinien in den Kampf gezogen sind?« fing der Geistliche wieder an. »In erster Linie, weil wir, dank Benito Mussolinis, eine starke, gerüstete Nation sind, in der Lage, ein Imperium zu erobern. Und wißt ihr auch, was wir in diesem Imperium tun werden? Wir werden es in ein Land verwandeln, in dem unsere Landbevölkerung den Boden bearbeitet, unsere Arbeiter Werkstätten, unsere Maurer ihre Baustellen haben. Doch vor allem betreiben wir eine Bekehrung der Seelen, alle müssen an unsere Heilige Mutter Kirche glauben! Und ihr, Jungen, meine Balillas, ihr müßt die künftigen

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