Der zerbrochene Kelch
Augenblick bei seiner Arbeit im Lagerraum des Museums, sodass er der begehrten Kylix einen Besuch abstatten konnte. Er würde natürlich zuerst einen anderen Weg über das Dorf einschlagen, falls Delvaux ihm doch folgte, aber letztendlich hatte dieser in den Felsen sowieso keine Chance gegen ihn. Eliadis kannte die Wege und Höhlen tausendmal besser als er.
Er verließ die Hütte und ging zuerst ins Dorf und von dort einen Nebenweg zum Stadion hinauf. Ab und zu sah er Touristen, die ihm folgten, sich dann aber den Ruinen oder dem Stadion näherten, sobald sie merkten, dass er den Berg hinaufwanderte und sich immer mehr von den alten Tempelanlagen entfernte.
Delvaux war hingegen nirgendwo zu sehen. Das musste zwar nicht bedeuten, dass er ihn nicht mit einem Fernglas beobachtete, aber neben dem Stadion waren einige Felsen, hinter denen er wunderbar verschwinden konnte. Delvaux würde ihn aus dieser Entfernung nicht verfolgen können, da war er sich sicher. Und aus der Nähe auch nicht, das hätte er bemerkt.
Also schlich sich Eliadis zum Stadion und verschwand hinter einem der großen Felsen zum Stadioneingang. Von hier aus führte ein kleiner Weg den Berg hinauf, den man vom Camp aus nicht sehen konnte, da er von den Kronen eines Kiefernwäldchen geschützt wurde.
Eliadis sah sich immer wieder um, aber hier oben waren auch keine Touristen mehr. Er war allein.
Langsam näherte er sich einer der drei Höhlen, die wie römische Torbögen einer Agora nebeneinander lagen. Er ging in die mittlere der Höhlen, die nicht besonders groß war, aber viele kleine Nischen und drei schmale Gänge im hinteren Bereich hatte, die in die Tiefe des Berges führten. Eliadis ging mit dem Licht einer Taschenlampe drei Meter in den linken Gang hinein und griff hinter eine schmale Kalzitwand, doch seine Hand tauchte ins Leere …
58
Ungläubig tastete er mit der Hand in der Nische, aber es war kein Glaskasten vorhanden. Sofort suchte er mit dem Schein der Taschenlampe das gesamte Versteck ab, doch die Kylix war nicht mehr da.
Wie war das möglich?
Eliadis zermarterte sich das Hirn. Es war undenkbar, dass Delvaux oder irgendjemand anders sie gefunden hatte. Das heißt …
Es gab nur einen, der die Höhlen wie er kannte und dem er so etwas zutraute. Nochmals suchte er die Nische und den Boden unter seinen Füßen nach Spuren ab … und fand tatsächlich mehrere kleinere Fußabdrücke mit dem Werbeaufdruck »Nike« im Sand.
Wie in Trance ging Eliadis zum Höhlenausgang und blickte ins Tal hinab, wo er seinen kleinen Bruder und dessen Freunde fröhlich vor seiner Hütte spielen sah.
»Yannis«, murmelte er. »Du Wahnsinniger.«
Er vergaß all seine Vorsicht und rannte humpelnd von dem Versteck zur Gruppe der spielenden Kinder.
»Yannis, komm sofort her!«
Die Kinder erschraken wegen seiner harten Stimme. Noch nie hatten sie ihn so herrisch sprechen hören. Ängstlich sahen sie zu Yannis, weil sie dachten, sie hätten etwas angestellt, das Eliadis so wütend gemacht hatte, waren sich aber keiner Schuld bewusst. Also nahmen sie ihre Fahrräder und flohen so schnell sie konnten ins Dorf zurück, doch Eliadis hatte Yannis’ Fahrrad schon am Gepäckträger gefasst.
»Du kommst mit!«, befahl er und zog seinen widerspenstigen Bruder ohne große Umschweife in seine Hütte. Mit einem einzigen Schwung schleuderte er Yannis aufs Sofa. »Wo ist die Kylix?« Eliadis packte seinen kleinen Bruder rabiat am Arm. Der Junge versuchte sich aus dem festen Griff des Erwachsenen zu winden und jaulte auf.
»Ich habe sie nicht! Du hast sie doch selbst aus dem Museumslager geklaut. Du bist der Bösewicht. Du musst doch wissen, wo sie ist.«
»Ich hatte sie oben in einer der drei westlichen Höhlen versteckt, das weißt du ganz genau, denn dort hast du sie auch gefunden. Und um mir einen Streich zu spielen, hast du sie woanders hingetan, nicht wahr? Also, wo hast du sie versteckt?«
»Such sie doch selber.«
Eliadis schüttelte Yannis, da er allmählich die Geduld verlor. Zu viel hing von dieser Kylix ab. Mehr, als irgen dein Mensch glauben konnte. »Du kennst die Höhlen genauso gut wie ich. Man kann nicht alle tausend Verstecke absuchen, und deswegen wirst du mir jetzt sagen, wo sie ist!«
»Das sag ich dir nicht. Du tust mir weh, Nikos. Lass mich los!«
Da holte Eliadis aus und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. »Verdammt noch mal, Yannis, das ist kein Spiel!«
Yannis hielt sich die linke Wange, die schmerzhaft prickelte. Es war
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