Der zerbrochene Kelch
bezwingen.« Er lachte hart. »Man kann unser Land erobern, aber nicht unsere Herzen.«
Karen biss sich auf die Lippe, als sie den bitteren Unterton in seiner Stimme hörte. »Warum sind Sie nicht mit uns über die Akropolis gegangen, Nikos? Simon konnte viel über die Tempel erzählen.«
»Ja, er ist ein kluger Mann«, murmelte Eliadis geistesabwesend, während sein Blick leer über die Häuser wanderte. »Er doziert gern.« Und auch sonst weiß er, womit man Frauen beeindrucken kann, dachte er insgeheim. Körperlich und akademisch war Simon ihm haushoch überlegen. Er selbst war nur ein junger Mann aus der Provinz, der mit delphischen Legenden und einer Museumsführung brillieren konnte. Aber welche Frau ließ sich schon mit einer Führung durch ein kleines Dorfmuseum beeindrucken? Nein, es musste schon die Akropolis sein.
Eliadis warf Karen einen kurzen Seitenblick zu. Sie war ihm so nah und doch so fern. Er war sich nicht sicher, ob Delvaux’ wissenschaftliche Abhandlungen ihr gefallen hatten, aber es bereitete ihm ein unglaubliches Vergnügen, als er meinte einen leicht gelangweilten Gesichtsausdruck bei Karen zu erkennen. Die Tempel der Akropolis schienen sie weniger zu interessieren als der in Delphi, doch das wunderte Eliadis nicht.
Karen merkte, dass er unter Delvaux’ Überlegenheit litt, und versuchte ihm Mut zu machen. »Wenn wir wieder in Delphi sind, würde ich mich freuen, wenn Sie mir einiges über die delphischen Orakelsprüche und Legenden erzählen würden. Simon sagte, Sie seien darin Experte.«
Eliadis schnaubte spöttisch. » Experte hat er ganz sicher nicht gesagt.«
»Na ja«, musste Karen ihm zustimmen. »Er selbst beschäftigt sich offenbar lieber mit Tempeln, Steinen und Tonvasen als mit altgriechischer Prosa.«
»Das stimmt. Aber wozu wollen Sie etwas über die Orakelsprüche wissen?
»Weil mein Buch nicht nur von Ruinen und antiker Architektur handeln soll. Es sind die Legenden, die Delphi lebendig machen. Die Menschen, die damals lebten und das Orakel befragten …«
»Und vom Orakel den Spruch bekamen, dass sie ihr Schicksal ertragen müssten.« Eliadis sah auf seinen Klumpfuß. »Es gibt Fragen, die sollte man nicht stellen.«
Er löste seine Hand aus der ihren. Im selben Moment rief Delvaux nach ihnen, und sie wandten sich den Propyläen zu.
Delvaux war inzwischen zum mächtigen Eingangstor gegangen und hatte beobachtet, wie Nikos und Karen Händchen haltend über die Stadt schauten. Bei dem Anblick bekam er einen stechenden Schmerz in der Magengegend. Würde dieser schmale, humpelnde Grieche ihn wirklich bei Karen ausstechen? Nein, das konnte nicht sein.
Das wäre das erste Mal, dass eine Frau Nikos bevorzugen würde. Er musste etwas dagegen unternehmen.
»Kommt ihr?« Delvaux machte einige Schritte auf sie zu, aber das genügte schon, dass Karen und Nikos sich in Bewegung setzten. Langsam kamen sie auf ihn zugeschlendert, und bei den Propyläen schlossen sie sich dann einer kleinen Touristengruppe an, die zur Stadt hinunterging.
23
Unterhalb des Akropolis-Felsens drehte sich Delvaux zu Karen um. »Was haben Sie sich für Athen eigentlich vorgenommen?«
Karen kramte ihren Stadtreiseführer aus dem Rucksack. »Erst muss ich zur Universität, und dann wollte ich noch beim Archäologischen Museum vorbeischauen.« Sie sah auf die Straßenkarte ihres Athen-Führers, den sie sich schon in Deutschland gekauft hatte. »Wo ist eigentlich der Erste Athener Friedhof?«
Delvaux’ Augen funkelten belustigt. »Um Himmels willen, was wollen Sie denn da?«
»Ich möchte mir unbedingt Heinrich Schliemanns Mausoleum anschauen. Und das von Otfried Müller.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie so nekropolenbegeistert sind.«
Karens Mundwinkel zuckten. »Das sagen gerade Sie als Archäologe, der sich über jeden Totenschädel im Sand freut.«
Delvaux lachte schallend. »Der Friedhof ist dort hinten neben dem alten Stadion. Aber bei dieser Mittagshitze würde ich Ihnen erst das klimatisierte Museum empfehlen. Draußen ist es zu heiß. Dort drüben ist schon eine Metrostation, so dass sie problemlos zum Omonia-Platz fahren können, und den Rest gehen Sie am besten zu Fuß.« Er nickte in Eliadis’ Richtung. »Tut uns leid, dass wir Sie nicht begleiten können, aber wir müssen noch einige Dinge erledigen, nicht wahr, Nikos?«
Dieser nickte wortlos.
»Wann sollen wir uns wieder treffen?« Delvaux schaute auf seine Armbanduhr. »Um siebzehn Uhr bei meinem Wagen?«
Karen war damit
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