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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathinka Wantula
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Klumpfuß. »Das ist nur Lokalpatriotismus.«
    »Denken die anderen Delpher denn auch wie Sie?«
    »Die meisten nicht. Sie leben von den Touristen, aber die Ruinen sind ihnen egal. Doch es gibt auch einige, die stolz auf Delphis Vergangenheit sind. Ich bin nicht der Einzige.«
    Nachdem alles eingepackt war, folgten sie einem breiten Sandweg, der am Rande der Blumenwiese lag.
    »Wie weit ist es noch bis zur Grotte?«
    »Nicht mehr weit. Wir müssen nur noch um diese Fels-spitze herum und dann ein kurzes Stück den Berg hinauf.«
    Eine halbe Stunde später betrachtete Karen den dunklen Eingang der Korykischen Grotte, der versteckt unter einem silbergrauen Felsvorsprung des Parnass-Gebirges lag und aus dem ihnen gerade eine fünfköpfige Touristengruppe mit schlammverschmierten Händen entgegenkam.
    »Sie haben die Wände berührt oder etwas vom Boden aufgehoben«, flüsterte Eliadis Karen mit einem spöttischen Lächeln zu, während sie den Touristen ein »Hallo« zuriefen und an ihnen vorbei zum Höhleneingang marschierten. Sie gingen an einem unbearbeiteten großen Stein vorbei, von dem man allgemein meinte, dass es ein Altar gewesen sein könnte, doch Eliadis erzählte diese Vermutung nur im Vorübergehen. Er hielt nichts von dieser Legende. Vor dem Eingang der Höhle blieb er stehen und wartete auf Karen.
    »Es könnte ein Erdbeben geben, wenn wir in der Höhle sind«, gab er zu Bedenken, doch daran hatte Karen vorher auch schon gedacht.
    »Mag sein, aber die Höhle besteht schon seit Jahrtausenden, und kein Erdbeben hat sie jemals zerstört, oder? Die Höhle wird mich nicht umbringen, viel eher meine Platzangst.«
    Eliadis lachte. »Sie haben Klaustrophobie? Nun, die Gänge bis zur Haupthöhle sind nicht so eng, und die Haupthöhle hat ein hohes Gewölbe. Das dürfte Ihnen nichts ausmachen. Und wenn Sie es nicht mehr aushalten, sagen Sie einfach Bescheid, und wir gehen sofort wieder raus. Einverstanden?«
    »Einverstanden.«
    Sie nahmen beide ihre Taschenlampen aus den Rucksäcken, aber für die ersten Meter genügte noch das einfallende Tageslicht. Zunächst folgten sie einem breiten Gang, in dem sie problemlos stehen konnten, und stießen dabei auf braune Stalagmiten, auf denen Besucher respektlos ihre Namen und die griechischen Buchstaben ΣΚ eingeritzt hatten. Von weitem hörte Karen das monotone Geräusch dicker Wassertropfen, die von der Decke fielen und seit Ewigkeiten diese Höhle formten. Doch Eliadis führte Karen tiefer hinein, bis sie zur großen Haupthöhle kamen, die sich weit ins Berginnere ausdehnte.
    »Die Höhle des Pan, in der in den Wintermonaten, wenn Apollon bei den Hyperboreern war, Feste für Dionysos, Pan und die Nymphen abgehalten wurden. Ein heiliger Ort, an dem französische Archäologen in den siebziger Jahren in einer kurzen Ausgrabungskampagne über fünfzigtausend Fundstücke bergen konnten, aber leider waren es nur kleine Weihgaben aus Ziegenknochen, einige tausend Vasenscherben und Miniaturstatuetten aus Ton. Wertvolle Gegenstände fanden sie nicht, obwohl die Delpher in dieser Höhle mehrmals Schutz vor Feinden suchten und sie auch als Versteck für wichtige Tempelweihgaben genutzt hatten. Diese Höhle hat meinen Vorfahren mehr als einmal das Leben gerettet.«
    Sie gingen beide in die Mitte des natürlichen Gewölbes und betrachteten die vom Wasser grünlich braun verwitterten Tropfsteingebilde um sich herum, in denen so mancher Besucher Pan und seine Nymphen zu erkennen glaubte.
    Eliadis zeigte mit dem Strahl der Taschenlampe in den hinteren Bereich der Höhle. »Dort gibt es noch weitere Kammern und Gänge, die aber noch nicht erforscht sind. Niemand traut sich dort hinein, weil …«
    Plötzlich bewegte sich der felsige Boden unter ihren Füßen, und die gesamte Höhle bebte, als hätte eine mächtige Hand sie gepackt und geschüttelt. Mehrere kleine Stalaktiten fielen krachend zu Boden, und schmale Risse begannen sich ihren Weg durch die Felsen zu suchen.
    Eliadis sah Karens panischen Blick, doch nach wenigen Sekunden war alles wieder ruhig.
    »Keine Angst, das war nur ein schwacher Erdstoß, aber wir sollten trotzdem wieder rausgehen«, meinte er und deutete mit dem Strahl der Taschenlampe auf den Gang nach draußen. Karen nickte nur und folgte ihm eilig ins Freie.

30
    Eine Viertelstunde vor dem Erdbeben hatte Delvaux in Delphi im Arbeitsraum des Museums den Glaskasten aus dem Tresor genommen, ihn geöffnet und vorsichtig die alte Trinkschale hervorgeholt. Mit einem

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