Der Ziegenchor
darüber, welche bekannten Gestalten des derzeitigen öffentlichen Lebens welche Gottheiten ersetzen werden. Das war seinerzeit wahrscheinlich sehr komisch, würde Ihnen jedoch nach all den Jahren praktisch gar nichts und mir selbst auch nur noch sehr wenig sagen.
Das einzige Problem sei, fährt der Sklave fort, daß der Olymp ein ganzes Stück landeinwärts liege. Das habe seinem Herrn zwar ein Weilchen Kopfzerbrechen bereitet, aber dann sei ihm eine Lösung eingefallen. Er werde an sämtlichen Schiffen kleine Räder, wie an der Bühne im Theater, anbringen lassen, um sie über das Festland ziehen zu lassen.
Das ist natürlich noch keine Erklärung für die komischen Geräusche hinter den Kulissen, die ganz und gar nicht nach Hämmern und dem Beschlagen mit Rädern klingen. »Na ja«, sagt der Sklave, »wir dachten, das könnten Sie sich bestimmt selbst denken, da Sie doch Athener sind und immer über alles so gut Bescheid wissen. Sie können sich also keinen Reim darauf machen? Wirklich nicht? Na, dann sehen Sie lieber selbst!«
Nun schwenken die Kulissenschieber die Bühne mitsamt dem darauf aufgebauten Haus zur Seite, damit die Zuschauer das Geschehen im jetzt sichtbaren Innenraum verfolgen können. Dort erblicken wir den Helden – ursprünglich Perikles, letzten Endes aber, nach vielen Änderungen, Kleon –, der gerade von zwei mit Riesenmessern bewaffneten Zauberern wie Schinkenspeck aufgeschlitzt wird. Die beiden Zauberer verkörpern die zwei führenden Rhetoriklehrer der Stadt – leider kann ich mich nicht mehr an ihre Namen erinnern –, die Kleon nun in Stücke hacken und in einer Gerbbrühe kochen, so wie einst Medeia König Aigeus zerhackte und kochte, um ihn zu verjüngen. Doch der Zweck dieses Experiments ist keineswegs Kleons Verjüngung, sondern vielmehr der Versuch, ihn von einem ehrbaren Mann in einen Politiker zu verwandeln, der einen Antrag in der Versammlung durchzubringen versteht. Bestimmt können Sie sich ausmalen, wie diese Szene ausgesehen hat, bei zwei Zauberern, die sich über Ausdrucksweisen und Redewendungen hermachen wie über Kräuter und Zaubertränke, bis sie Kleon schließlich gründlich damit durchgegerbt haben.
Wenn sie damit fertig sind und die Zauberworte Drei Obolen pro Tag auf Lebenszeit gesprochen haben, springt Kleon mit der groteskesten Politikermaske aller Zeiten aus der Brühe heraus und beschuldigt die beiden Zauberer der Verschwörung gegen die Demokratie, weil sie ihm dabei geholfen hätten, erfolgreich die Eroberung des Himmels zu rechtfertigen. Dann stapft Kleon in Richtung Pnyx davon, und es folgt die große Debattenszene mit seiner Rede. Bisher ist der Chor immer noch nicht aufgetreten, auch die Wähler in der Volksversammlung haben kein einziges Wort gesagt, weil sie nur von den Bühnenarbeitern ohne Masken dargestellt werden. Kaum wird sein Antrag angenommen, klatscht Kleon in die Hände, und die Flotte kommt heraus, komplett mit kleinen Rädern, wie Rammsporne geformten Kopfbedeckungen und kleinen Ruderreihen anstelle der Ärmel.
Das Ganze läuft dann darauf hinaus, daß sich die Flotte zum Olymp aufmacht und die Götter belagert, genau wie wir damals die Menschen auf Samos belagert haben, bis sie sich ergaben und als Sklaven an die Barbaren verkauft wurden. Zeus wird beispielsweise an einen Ägypter verschachert, der ihn zum Regenmachen haben will, Aphrodite wird von einem syrischen Zuhälter erworben, während der berühmte Dichter Euripides erscheint, um ein paar der seltsamen metaphysischen Auffassungen zu erstehen, die er immer wieder in seine Tragödien einstreut, die aber natürlich nirgendwo außerhalb seines verhärmten Hirns existieren. Schließlich legt er sich Hermes zu, da ihm dieser als Gott der Diebe und der Toten dabei behilflich sein kann, noch mehr Ideen von seinen Vorgängern auf dem Gebiet der tragischen Dichtung zu stehlen. Das Stück endet damit, daß Kleon auf Zeus’ Thron Platz nimmt, während die Flotte weggerollt wird, um aufgelöst und gegen Feuerholz an die Spartaner (die Kleon schon die ganze Zeit in der Tasche hatten) verkauft zu werden.
Aus dieser kurzen Inhaltsangabe wird ersichtlich, daß es sich bei meiner Komödie eher um ein Dialogais um ein Chorstück handelt, und das entspricht auch ganz meiner persönlichen Vorliebe. Trotzdem war ich besonders mit der Ansprache an das Publikum zufrieden, zu der der Chorführer die Maske abnimmt, an die Bühnenrampe tritt und sich direkt an die Zuschauer wendet, als wäre er der
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