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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Sparschuh
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sagte: »Übrigens – ich bin der Uwe.«
    Das macht doch nichts, wollte ich sagen – doch da prostete er mir schon zu, und ich sagte nur leise »Hinrich« und spülte auch das gleich wieder mit einem Schluck herunter.
    Dann lächelten wir uns an.
    Er war, sah man genau hin, mindestens zehn, fünfzehn Jahre jünger als ich. Insofern hätte eigentlich ich ihm das Du anbieten müssen. Aber schließlich, er war der Westmensch; da hatte er bei mir wahrscheinlich gleich automatisch ein paar Jährchen von den 40   Jahren DDR – Leben abgezogen, denn richtig gelebt hatten wir ja nicht. Immer wieder, wenn wir gemeinsam unterwegs waren, besonders auch bei Überlandfahrten, hatte er mitfühlend den Kopf geschüttelt. Zitat nach Protokollbuch: »Das war ja kein Leben bei euch! Die Zeitungen waren keine Zeitungen. Die Wahlen waren keine Wahlen. Die Straßen keine Straßen. Nicht mal die Autos waren Autos.«
    Innerlich mußte ich ihm in allen Punkten recht geben. Aber, was zum Kuckuck war es dann, was wir die ganze Zeit getrieben hatten? Wer weiß. Man muß es schon selbst erlebt haben, um es nicht zu verstehen …
    »Hinrich, ich würde gern mal deine Gedanken lesen.« Ich winkte ab.
    »Weißt du, manchmal bist du wirklich von abgrundtiefer Bescheidenheit.«
    Er kam dann darauf zu sprechen, daß »der Alte« große Stücke auf mich halte. In letzter Zeit habe es etliche dankbare Kundenbriefe an die Firma gegeben. »Aber warte mal ab, wenn ich erst mal Vertriebsleiter Ost bin, dann mache ich dich zum Stellvertreter und wir ziehen die Sache ganz groß auf. Deine alten Verbindungen scheinen ja wirklich Gold wert zu sein!«
    Dann wollte er plötzlich wissen, wie ich eigentlich andie Kundenlisten herangekommen sei? Ihm sei es eigentlich egal, aber …
    »Von meiner alten Firma«, sagte ich verwundert.
    »Aha«, sagte er, »von der Firma.« Er nickte.
    Dann schenkte er uns beiden nach und begann nun plötzlich von der Staatssicherheit zu sprechen. (Wahrscheinlich hatte er schon vorher etwas getrunken; er wechselte jetzt jedenfalls sehr abrupt von einem Thema zum anderen.) »Ja, Gott, Stasimitarbeit! Also, wenn du mich fragst: wenn einer das Zeug dazu hatte, Menschenskind, warum denn nicht!«
    Er sah mich forschend an. »Aber sagen, sagen sollte er es dann schon mal, nicht wahr? Wenigstens seinen Kollegen.«
    Das fand ich auch; ich nickte ihm zu. Er sah aber woanders hin.
    »Uwe«, sagte ich, nachdem ich mein Glas ausgetrunken hatte …
    »Ja?«
    »Ich muß jetzt.«
    »Ach so, deine Frau, sie wartet wohl?«
    »Ja, sie wartet wohl.«
    »Schon lange?«
    »Schon sehr, sehr lange …«
    Strüvers Blick war voller Anteilnahme.
    »Na dann, Hinrich, ich will dich nicht aufhalten.«
    Ich mußte noch den Wochenendeinkauf machen. Der Gang in die Kaufhalle fiel mir übrigens zunehmend schwerer, ich schob ihn immer bis zum letzten Moment vor mir her. Für sich selbst einzukaufen, ist eine verdammt traurige Sache.
    Außerdem: In was für einem Staate leben wir denn! Das fuhr mir wütend durch den Sinn, als ich in meinemPortemonnaie, wie schon so oft, ergebnislos nach einem Markstück fahndete. Wo leben wir denn? Wer klaut denn hier immer Einkaufswagen? Kopfschüttelnd zog ich mit dem Wagen, den ich schließlich für zwei Fünfzigpfennigstücke ausgelöst hatte, die Runde. Am Ende der Kassenschlange angelangt, ruhte mein Blick wieder schwer und sorgenvoll auf dem Innern des Wagens. Für alle Welt sichtbar, lagen dort die Beweisstücke meiner allmählichen Verwahrlosung aus: ein Dutzend Bierbüchsen, ein Glas mit Wienern, ein Glas Senf, ein Stück Butter, ein Weißbrot, eine Flasche Wodka, Zigaretten. Ich stierte in den Wagen. Die Vorstellung, daß ich das alles in den nächsten Tagen vertilgen sollte, würgte mich. Am liebsten hätte ich den Wagen in eine Ecke geschoben und dort stehenlassen.
    Die einzig erfreulichen Farbtupfer in meinem Einkaufswagen waren die bunten Büchsen mit dem Hundefutter; ein deutlich sichtbarer Hinweis darauf, daß es auf der Welt noch jemanden gab, für den ich zu sorgen hatte. (Außerdem Strüvers Blumenstrauß, der wie ein Fremdkörper unter meinem Arm klemmte.)
    »Schönen Gruß von Uwe«, sagte ich zu Freitag, als ich zu Hause im Flur stand. Freitag schnupperte neugierig an den Blumen, dann rieb er seine feuchte, blütenbestäubte Hundeschnauze an meinem Hosenbein ab; ich putzte mir gerührt die Nase. Es war kalt geworden.

– Kleinkram und Ahnungen –
    »Neueröffnung Studio Manuela« – das hatte ich

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