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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Sparschuh
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wäre alles so wie früher. Ich hatte schon den Hörer wieder in der Hand, da dachte ich, es wäre doch besser, ich würde sagen: Alles soll anders werden.
    Zwischen diesen beiden Varianten konnte ich mich aber schlecht entscheiden. Ich lief durch die Wohnung wie durch einen Käfig. (Freitag – immer hinter mir her. Er hielt das wahrscheinlich für ein neues Spiel. Oder für Gassi-Ersatz). Mehrmals ging ich am Telefon vorbei und prüfte, ob der Hörer auch richtig auflag. Aber nur ganz kurz, damit nicht zu lange besetzt war. Insgeheim hoffte ich nämlich, Julia würde zurückrufen. Als sie sich aber auch am nächsten Tag nicht gemeldet hatte, steckte ich den Brief in ein großes Kuvert und schickte ihn an die Bank zurück, mit dem Vermerk »Adressatin z.   Z. unerreichbar!«.
    Dabei, ich wäre damals sogar bereitgewesen, Julia unter Umständen ihren Hugelmann zu verzeihen, oder, wie ich diesen Herrn ihr gegenüber immer nannte: »Deine Verirrung!« (Originalton Julia dazu, laut Protokollbuch: »Herr Hugelmann ist nicht meine Verirrung, sondern mein Ressortleiter!« – Nun gut, darüber konnte man unterschiedlicher Meinung sein.)
    Der Großmut, den ich empfand, als ich zu verzeihen und zu vergessen bereit war, erstickte mir zwar die Stimme und trieb mir Tränen der Rührung in die Augen – aber Tatsache war, seit auch ich wieder zu tun hatte, war Hugelmann auf ein erträgliches Normalmaß geschrumpft, kein Übermensch mehr, nein, nur ein tätiges Glied (besser: Mitglied) der Gesellschaft – wie auch ich. Oder eben, wie schon oben angedeutet: eine ganz normale Verirrung.
    Aber, mein Großmut war ja nicht gefragt!
    Dafür war ich, Gott sei Dank, fest im Griff der Arbeit, die jeden anderen Gedanken vertrieb. Ich kann mich übrigens nicht entsinnen, jemals so hart wie damals gearbeitet zu haben. Selbst nicht in meiner KWV – Zeit, obwohl ich da manchmal, insbesondere im Vorfeld von Volkskammerwahlen oder anderen Feiertagen, rund um die Uhr im Einsatz war.
    Als ich eines Tages, es war ein Freitagnachmittag, zu Strüver ins Hotel marschierte, um ihm die Wochenbilanz vorzulegen (es waren auch wieder Nachbestellungen erforderlich geworden), standen ein Blumenstrauß und ein Champagnerkübel auf dem Tisch. Ich dachte zuerst, daß ich mich in der Zeit geirrt hätte, und wollte schon so tun, als wäre ich aus Versehen ins falsche Zimmer gegangen und mich diskret zurückziehen – aber Strüver zog mich ins Zimmer. Auf dem flachen Tisch stand der aufgeklappte Laptop. »Schauen Sie mal«, sagte Strüver. Ich vertiefte mich in das bunte Computerbild. Strüver hatte die Erfolgsbilanz der letzten Wochen eindrucksvoll in einer Grafik dargestellt. »Na endlich«, sagt er, »endlich, jetzt ist der Knoten geplatzt. Ich wußte es …«
    Was Strüver zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht wußte, nicht einmal ahnen konnte (denn ich hatte micheinfach noch nicht getraut, es ihm zu sagen – wie auch?): die Erfolgsbilanz ging ausschließlich auf das Konto von Atlantis.
    Um genau zu sein: fast ausschließlich. Einige Ausnahmen gab es. Zum Beispiel, und wider Erwarten, bei meinem Zahnarzt. Zum Schein hatte ich mich bei ihm für eine Durchsicht angemeldet und diese auch, einschließlich einer kleinen Bohrung, anstandslos über mich ergehen lassen. Das war sozusagen meine Vorleistung. Als wir damit fertig waren, verwickelte ich Dr. Pagel in ein Gespräch über die allgemeine Lage, die Geschäftslage – und wie schön es doch wäre, wenn sein Warteraum gewissermaßen zu einem Anziehungspunkt, zu einem Magneten für alle potentiellen Patienten unseres Viertels würde. Etwas verwundert schaute er mich an. Der Blick eines Arztes auf seinen Patienten. Daraufhin präsentierte ich ihm Atlantis. Er kniff abwehrend die Augen zusammen und sagte: »Aber, Herr Lobek …«
    Alles klar, sagte ich, alles klar, kein Problem – und schob sofort Jona nach.
    »Na, weil Sie es sind …«, sagte er schließlich mit einem bekümmerten Blick über den Brillenrand, er hätte sowieso schon viel zu viele Geräte bei sich herumstehen; ich erinnerte mich dunkel daran, ihm vor Jahren mal einen Gasdurchlauferhitzer aus einem Sonderkontingent besorgt zu haben. Außer einem Jona-Modell (inklusive Service-Vertrag) nahm er mir noch das Versprechen ab, von nun an wieder regelmäßig, einmal im Jahr, zur Kontrolle zu kommen. –
    Inzwischen hatte Strüver die Champagnerflasche geöffnet und zwei Gläser gefüllt. Er reichte mir ein Glas, nahm sich das andere und

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