Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
gesammelten Schriften, Akten und Karteikästen in die Hände, ein Archiv des zeitgenössischen Rechtsextremismus in unterstützender Absicht. Nicht nur politisch war der Mann ein Problemfall, auch als Vater war er eine echte Heimsuchung. Noch im hohen Alter nötigte er seine älteste Tochter, selbst schon im Rentenalter, dazu, einen DNA -Test zu machen, ob er auch der richtige Vater sei. Und er war es natürlich, niemand hatte je daran einen Zweifel gehabt außer er selber in seinem paranoiden Kampf gegen die Mutter. Die Kindheit Sigmar Gabriels dürfen wir uns als eine spezielle Hölle vorstellen, gegen die »Kramer gegen Kramer« eine Kindersendung ist. Der Krieg um die Kinder wurde hier mit sehr deutscher Gnadenlosigkeit geführt. Sieben Jahre blieb Gabriel bei seinem ungeliebten Vater, bevor seine Mutter vor Gericht recht bekam. Sieben Jahre, die in der Erinnerung wie ausgelöscht sind: An kein Weihnachtsfest und keinen Geburtstag kann er sich erinnern, so erzählte er es Bernd Ulrich für die »Zeit«. Als er endlich bei seiner Mutter leben durfte, musste sie einen Weg finden, den unruhigen Jungen tagsüber zu beschäftigen, nach der Schule, bis sie abends von der Arbeit kam. Einer davon waren die Falken, eine der SPD nahestehende, traditionsreiche Jugendorganisation. Hier ging es eher lebenspraktisch zur Sache, Zeltlager wurden im großen Stil organisiert, auch im Ausland. Man schrieb keine Papiere, die auf die Papiere der anderen antworteten wie bei den Jusos, der eigentlichen, amtlichen Jugendorganisation der SPD . In ihr geht es traditionell zu wie im Monty-Python-Film »Das Leben des Brian« in den Szenen mit den Mitgliedern der Volksfront von Judäa, die mit denen von der judäischen Volksfront zerstritten sind.
In Goslar, der Stadt seiner Mutter, wohnt Gabriel nach wie vor mit seiner Familie, kümmert sich um seine kleine Tochter ebenso wie um die hochbetagte Mutter. Es ging mir bei diesem Besuch auch darum, einen besseren Eindruck von diesem Mann zu gewinnen, über den alle schreiben, er sei »sprunghaft« – was aber so gar nicht zu seiner Bodenständigkeit und seiner politischen Kontinuität passen will. Ich konnte mir auch die schlechten Persönlichkeitswerte in den Umfragen nicht erklären. Er pflegt eine zeitgemäße Sprache, ist schnell im Kopf und hat ein waches politisches Gespür. Er wäre die ideale Ergänzung zum Kanzlerkandidaten, die Rollenaufteilung lag auf der Hand. Sie hätte allerdings rein von den Typen her besser funktioniert, wenn Steinbrück der Vorsitzende und Gabriel der Kandidat gewesen wäre. In der jetzigen Konstellation entsprachen die spezifischen Talente nicht unbedingt dem Charakter der Funktionen. Lag darin der Grund für die Unterströmungen, die das Verhältnis in eine ganz andere Richtung bewegten und die schwer zu identifizieren waren? Politische Differenzen waren es nicht, beide arbeiteten schon lange zusammen. Und persönliche Animosität war es auch nicht, jedenfalls nicht zu Beginn.
Politiker machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Wenn sie sich in Opposition zu einem anderen befinden, dann sagen sie das auch. Doch weder Gabriel noch Steinbrück zogen übereinander her, jedenfalls nicht so, wie man es von anderen Parteifreunden kennt.
Doch mit dem ausbleibenden Erfolg wuchs der Frust. Das hatten sie sich alles anders vorgestellt: Steinbrück hatte als Medienfigur, als Liebling der Hamburger linksliberalen Blätter die Punkte machen sollen, und Gabriel hätte ihn in der Partei abgesichert. Nun aber gelang das Erste nicht, und das Zweite wurde darum immer schwieriger. Gabriel war, wie er sagte, »ratlos«. Genervt war er wohl auch von der Imagedifferenz, die den Kandidaten als Mann von Geist und Bildung präsentierte, ihn aber als eine Art politischen Straßenkämpfer. Es war auch wirklich nicht ganz fair: Steinbrück war ein schlechter Schüler, und Gabriel hat mal als Lehrer gearbeitet, ebenso gut könnte man also die Männer ganz anders präsentieren.
In der Führung durch Goslar war er jedenfalls ganz Lehrer und Stadthistoriker, und das nicht einmal, wie es sonst oft mit Spitzenpolitikern ist, in eigener Sache. Eher zufällig ergeben sich Begegnungen mit Menschen, die ihn respektvoll und voller aufrichtiger Freude begrüßen und sich dann als gestandene Handwerksmeister und als Unionsmitglieder entpuppen. Der Höhepunkt einer solchen Führung durch Goslar ist die Kaiserpfalz, in der Gabriel auch geheiratet hat. Es handelt sich um eine mehr oder weniger
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