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Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)

Titel: Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nils Minkmar
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Erinnerung und definiert die Person, ein Ritual des Erwachsenwerdens und ein nicht leicht zu änderndes Commitment in einer Epoche, die gekennzeichnet ist durch die potentielle Umkehrbarkeit von allem und jedem. Und dann kommt die pure, offenbar als erfreulich wahrgenommene Nutzlosigkeit der Hautzeichnung hinzu, sie ist eine Abkehr vom Effizienzdenken.
    Kein Zweifel, das Land und seine Leute sind im Stadium der Verpuppung, erst Jahre später kann man begreifen, wohin die Reise ging. Dass tatkräftig verändert wird, vor allem in der persönlichen Lebensführung und im Hinblick auf eine gesündere und gerechtere Haushaltsführung, daran gibt es keinen Zweifel. Doch was hatte die Sozialdemokratie einer so aufbruchslustigen, aber gegenüber althergebrachten Institutionen skeptischen, einer tatendurstigen, aber nicht geforderten Bevölkerung anzubieten?
    Wenn du die Männer dazu bringen willst, ein Schiff zu bauen, wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten blauen Meer, hatte Antoine de Saint-Exupéry geschrieben. Doch die SPD  – nicht ihre Spitze, aber doch die mittlere Ebene der Funktionäre und Delegierten – haderte, ob nicht ein schönes Alpenpanorama, ein tiefer Wald oder ein Kurztrip nach Berlin die Männer eher inspirierten und ob es denn überhaupt ein Schiff sein müsse – und wohin wolle man mit dem überhaupt fahren? Auf so etwas sei schon mancher ins Unglück gesegelt.

8 Eine bessere Zukunft für alle Menschen weltweit
    In der komplexen, aber auch hochspannenden Zeit, die vor Lust an Ideen und Transformationen nur so flirrte, erarbeitete die Partei, in vielen Schritten, ein Wahlprogramm. Wenn ich in Gesprächen sagte, dass ich das für die Zwecke dieses Buches auch einmal ganz studieren wollte, gab es zwei Reaktionen: ungläubiges Lachen und entschiedenes Abraten.
    Dabei ist die Lektüre von Wahlprogrammen eine hilfreiche Übung. Man erfasst sehr gut, in welchem Zustand eine Partei ist, gedanklich, argumentativ und psychisch. Und es erlaubt eine gute Prognose auf die kommenden vier Jahre, eine bessere jedenfalls als viele normale Zeitungsberichte. Dass die Liberalen nicht gut fahren würden, das stand schon in ihrem kurios zusammengestoppelten Wahlprogramm 2009 , in dem außer Steuersenkungen ein buntes Allerlei von Alltagssorgen reicher Rentner aufgeschrieben worden war.
    Die Sozialdemokraten hatten dieses Mal nicht nur die üblichen Kommissionen, Arbeitskreise und Untergliederungen am Erstellen des Programms beteiligt, sondern auch aufwendige Bürgerdialoge organisiert. 350 solcher Veranstaltungen hatte es gegeben, eine Flut von über 40 000  Vorschlägen überschwemmte die Genossen. Teilweise flossen diese Bürgersorgen dann auch in das Programm ein, womit ich persönlich konzeptionelle Schwierigkeiten habe: Denn das Prinzip »Sie sagen mir, was Sie gerne hätten, und ich bringe es Ihnen«, dem gehorcht ja schon die Bundeskanzlerin perfekt.
    Nach dem verräterischen Slogan, der, wir haben es gesehen, die Ich-Schwäche der Partei verriet, konnte man trotz aller Vorsätze der Unvoreingenommenheit schon böse Vorahnungen hegen, was die Qualität des über hundert Seiten starken Textes angeht.
    Der erste Satz des ersten Teils, der sogenannten »Vorbemerkung«, lautet: »Dieses SPD -Regierungsprogramm steht in einer Reihe und zugleich großen Tradition von Programmen unserer Partei.« Da fehlt ein »mit« – »in einer Reihe mit und zugleich der großen Tradition von« muss es heißen. Es ist ein schlichter Lektoratsfehler und eine deutliche symbolische Botschaft: Hier fehlte der professionelle, letzte Schliff. So etwas zu bemerken ist keine Marotte auf dem Weg zum zwangsgestörten Leserbriefschreiber, eine solche sprachliche Ungenauigkeit ist ein Symptom für eine weitgehende Verwahrlosung des Textes. Ganz davon abgesehen, ob es sich ziemt, schon gleich zu Beginn einen historischen Rang für ein Programm zu reklamieren, das der Leser ja gerade erst zur Kenntnis nehmen soll.
    Gravierender ist der letzte Satz der Vorbemerkung. Er bezeichnet ein Problem, welches das Programm bis zum Schluss plagt, und lautet: »Wir wollen eine bessere Zukunft für alle Menschen und für unser Land, in Europa und in der Welt.« Das also ist das Ziel der Übung: Eine bessere Zukunft für alle Menschen, weltweit. Vielleicht ist es hartherzig oder kaltschnäuzig, wenn man anmerkt, dass dieses Ziel ein wenig hehr ist für eine Partei, die beim letzten Mal 23  Prozent der deutschen Wahlberechtigten begeistern konnte.

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