Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
dass sich die Regionalkönige schonten, für den Fall, dass sie infolge eines möglichen Debakels nach der berühmten Erneuerung aus den Ländern gerufen würden.
Außerdem hatte es ein »extrem ernstes Problem« mit der Werbeagentur gegeben. Im Papier heißt es: »Immer wieder werden Motive angeboten, mit denen Merkel persönlich verunglimpft wird, obwohl die Agentur ein klares Briefing hat, dass uns eine solche Vorgehensweise auf die Füße fallen würde.« Diese interne Analyse war ein Dokument der politischen Einsamkeit. Dass es dennoch und mit den Open-Air-Veranstaltungen auch etwas besser weiter ging, hing an der Energie des Kandidaten, der sich zu einer Art »Peerpetuum mobile« entwickelt hatte. Die Grass’sche Ressource hatte er fast obsessiv verinnerlicht, wie eine Sucht.
Ob sich die neue Autonomie des kleinen Teams, das viel reparieren und improvisieren musste, auch bewährt hatte, ob die ganze Arbeit überhaupt etwas taugte, das würde sich an diesem Abend zeigen. Mir schienen die mit der Vorbereitung befassten Personen aber alles andere als gelassen, sondern, bei aller professionellen Kontrolle, ehrlich besorgt. Sie waren den Misserfolg gewohnt und misstrauten dem eigenen Urteile, eine gute Vorbereitung könne noch etwas ändern. Bisher hatte ja nichts geholfen.
Das ganze Setting war zwar peinlich darauf bedacht, fair zu wirken, aber die Gewichtsunterschiede zwischen den Kombattanten waren beträchtlich und auch an diesem Abend nicht zu übersehen.
Schon der Beginn der Veranstaltung ist deutlich dazu angetan, den Opponenten einzuschüchtern. Die CDU hat ihre Anhänger mit zwei Reisebussen zum Studiogelände hergefahren. Als Peer Steinbrück sich den Studios nähert, lösen sich zwei Frauen aus der Menge und rennen auf ihn zu, die anderen johlen. Seine Sicherheitsbeamten müssen einschreiten, um die Anhänger der Union auf Abstand zu halten. Die Parteigänger der SPD , die Jungsozialisten, sind nur eine Handvoll. Im Willy-Brandt-Haus erzählte man sich, es sei abgemacht gewesen, dass niemand seine Schlachtenbummler nach Adlershof transportiert. Es geht turbulent zu, Fotografen drängeln sich, einer von ihnen wird umgeschubst.
Steinbrück schöpft aus den Turbulenzen eher Energie, es erinnert ihn an das Geschehen im Fußballstadion. Auf dem Weg zur Ton- und Lichtprobe ist dem Kandidaten der Weg verstellt: Alles abgesperrt für die Bundeskanzlerin. Der Ablauf sah etwas anderes vor, aber nun ist es ohnehin zu spät, um zu protestieren. Bei aller persönlichen Bescheidenheit und geradezu exaltierten Biederkeit der Kanzlerin, die sie in zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen seit Beginn des Jahres so bemüht ausgestellt hat, steht sie mit einem derart mächtigen und komplexen Staat einem System vor, das aus sich selbst heraus auf Dauer, Störungsfreiheit und Machterweiterung ausgerichtet ist. Es ist für historisch Interessierte ein schlechter Witz, aber auch die fast neurotisch zurückgenommene Bundesrepublik kann imperiale Anwandlungen ausbilden. Das Amt hat sich mit der immens gewachsenen Bedeutung des wiedervereinigten Deutschlands in einem geeinten Europa verändert, einer Bedeutung, die durch den ökonomischen Aufschwung in einer Nachbarschaft der Krisenländer noch potenziert wurde. Bundeskanzlerin in Berlin, das hat 2013 kaum noch etwas mit dem Bonner Amt eines westdeutschen Moderators und Telefonisten zu tun. Es hat kaum noch mit irgendetwas zu tun, es ist wirkliches Neuland. Und das sollten an jenem 1 . September zum ersten Mal auch die Zuschauer begreifen.
Was für ein imperiales Reglement, allein um hineinzukommen. Sieben verschiedene Ausweisarten wurden ausgegeben, wie auf einem G 20 Gipfel. Beim Hineingehen treffe ich einen Freund, mit dem ich vor langer Zeit beim Fernsehen zusammengearbeitet habe, heute ist er als Redakteur für eine der Moderatorinnen tätig. Er verzweifelt an der Dimension der Sache, der geradezu byzantinischen Komplexität und dem krassen Prunk der Produktion. »Was könnte man mit all dem Geld für schöne Sachen machen!«
Die große Halle von Adlershof wurde in eine Lounge verwandelt, wie überhaupt die Lounge das zentrale Phantasma der deutschen Raumgestalter zu sein scheint: Der Himmel auf Erden ist eine Lounge. Es sind kaum Stühle und Tische vorhanden, wie es sein müsste, wenn die Leute hier arbeiten wollten, auch keine echten Sofas, wenn sich dies als gute Fernsehunterhaltung verstünde. Es ist eben eine Mischung, alles im Fluss. Und auch diese
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