Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
Leibwächter, Assistenten und Fahrer ein wuselndes aber in der Regel fehlerfrei operierendes, einschüchternd effektives Biotop. Über dem ganzen Geschehen, ob Exekutive oder Opposition, liegt ein eigentümlicher Glanz. Die Charaktere sind komplex, die Pläne ambitioniert, die Kostüme sitzen, das Licht stimmt, es geht immer irgendwohin. Wenn man die fiktionale und beliebte Politik der Serien mit dem real existierenden Ding vergleicht, kommt einem die berühmte Dialogzeile aus François Truffauts »Die amerikanische Nacht« in den Sinn: »Im Film gibt es keinen Stau, keine verlorene Zeit. Filme bewegen sich voran wie ein Zug in der Nacht.«
Hat die Premierministerin in ihrem Amt Erfolg, so fordern die ewigen Stunden der Abwesenheit ihren Tribut: Ihr Ehemann verliebt sich in eine andere und verlässt sie, die Mutter der Nation wird zur alleinerziehenden Singlefrau. Journalisten werden von starken ethischen Motiven gelenkt, allein die Liebe vermag sie vom geraden Weg abzubringen
Und es geht alles schnell: Sitzungen werden mit Pointen bestritten, Reden werden auf wenige Minuten kondensiert, lange Entwicklungen erstrecken sich über höchstens ein, zwei Folgen. Die Serien sind ein Kondensat von allem, was Politik sein könnte und was Zuschauer daran schätzen. Sie machen aber auch schmerzlich deutlich, wie völlig anders das reale Geschehen ist. Hier passt der Titel des medienkritischen Essays von Robert McChesney, »Rich Media, Poor Democracy«.
Sowohl der Anblick der Opulenz der Duellproduktion wie auch der Vergleich mit Politserien wirken komisch, wenn man an manche Termine des echten SPD -Wahlkampfs denkt. Politik in Deutschland ist zumeist etwas, das von Freiwilligen ge- und veranstaltet wird. Parteien, Stiftungen, aber auch staatliche Stellen haben sich längst unter ein strenges Spar- und Bescheidenheitsdiktat begeben. Es greift dort strenger als jenes in privaten, gewinnorientierten Firmen, bei denen die Controller den Ton angeben, weil diese Askese und Austerität ideologisch motiviert sind. Wenn eine private Firma oder Stiftung einlädt, ist für einen ansprechenden Rahmen immer gesorgt. Virginia Woolf hat in ihrem historischen Essay »Ein Zimmer für sich allein« verdeutlicht, wie sehr auch solche Fragen des Rahmens, der Einrichtung, der Bewirtung einen Rückschluss zulassen auf die spezifische Wertschätzung, auch Selbstwertschätzung der Veranstalter. Während die Debattierclubs der Männer an einer Universität selbstverständlich mit Speisen, Getränken und einem Kamin lockten, trafen sich die Frauen wie heimlich und höchstens bei Tee in zugigen Fluren, um bloß keinen großen Aufwand zu verursachen. Heute sieht man solch einen Unterschied zwischen Veranstaltungen des privaten Sektors und denen des öffentlichen Sektors.
Ähnliches gilt leider auch für die Personalauswahl: Eine Partei weist nie jemanden ab. Eines der wichtigsten Kriterien ist die Zeit, die ein Interessent oder eine Interessentin mitbringen kann. Keinen Beruf zu haben, keine Familie und keine Freunde, das gilt in unserer Gesellschaft üblicherweise nicht als erstrebenswert, für eine Partei ist es ideal. Die wird dann alles zugleich. Da soll es aber gar nicht besonders verlockend zugehen, Ehrgeizlinge, die es auch woanders zu etwas bringen könnten, sollen das ruhig dort tun. Natürlich ist die Gesellschaft den vielen Parteimitgliedern auch zur Dankbarkeit verpflichtet, irgendjemand muss ja Wahlkampf führen, Kandidaten ausfindig machen, das politische Herz der Demokratie schlagen lassen. Aber vielleicht sind die so beliebten Serien auch eine Inspiration, es anders zu machen.
Was sich schwerer ändern lässt, ist die narrative Grundstruktur des politischen Diskurses. Man ist verblüfft, wie spezialisiert und kleinteilig die Themen werden können, mit denen sich professionelle Politiker auskennen müssen. In den Serien muss der Zuschauer immer zu den ganz großen moralischen Fragen zurückgeführt werden, nur so kann sich, im Kampf darum, das Drama entwickeln. Im realen Geschäft hingegen zerfallen die verhandelten Gegenstände wie trockener Kuchen: Vom Begriff der guten Gesellschaft zur Sozialpolitik, weiter zu einzelnen Regelungen von Freibeträgen und Zuschüssen, von dort zum Zustand der Kinderspielplätze und immer detaillierter. Es hat sich kaum etwas geändert seit Elke Heidenreichs Politsatire aus den frühen achtziger Jahren, in der sie beschrieb, wie ein Politiker seinen Weg macht mit der Idee, in den Herbstferien in den
Weitere Kostenlose Bücher