Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
Unsicherheit bei der Wahl der Möbel ist aussagekräftig: Vielleicht kann sich niemand entscheiden, ob das hier Entertainment ist oder eine Schicksalsstunde der Nation.
Es war natürlich ein Wahnsinn, solche Mittel auszugeben, um eine Sendung zu produzieren, die kaum einen dauerhaften Wert haben dürfte. Die Möglichkeiten, sie mit Erfolg zu wiederholen, sind arg begrenzt, im Grunde hätte ein kleines Studio mit einem Moderator auch gereicht. Es sah aus, als würden die Fernsehverantwortlichen nicht richtig an die Zugkraft der Protagonisten glauben, als seien vier berühmte Moderatoren und eine antagonistische Inszenierung schon nötig, um der Sache etwas Pfiff zu geben.
Denn es passt ja nicht wirklich zu unserem Grundgesetz: In einem Präsidentschaftswahlkampf, wenn die Wähler wirklich zwei Namen auf dem Stimmzettel stehen haben, ist das Duell die adäquate Form.
Aber in Deutschland wählt man Parlamente, dort finden sich Koalitionen, und in diesem Jahr zeigen die sich besonders eigenwillig und unvorhersehbar. In den meisten dieser Konstellationen spielte Steinbrück keine Rolle mehr. Seine historische Lieblingskonstellation, eine Koalition mit der FDP , war weder rechnerisch noch politisch möglich. Die mit den Grünen hatte keine sehr guten Aussichten. Und auch wenn Merkel weiterhin Bundeskanzlerin bliebe, so würde sie je nach Koalitionspartner doch eine andere Politik machen müssen als jetzt, also war das Duellformat auch hier irreführend.
In der Berichterstattung spielten die Moderatorinnen und Moderatoren eine dominierende Rolle, nach dem eigentlichen Duell würden sie noch in je eigene Sendungen gehen und sagen, wie es so war. Unter ihnen auch Stefan Raab, ein Rundumtalent der Fernsehunterhaltung, ein talentierter Musiker, mittelbegabter Comedian und anhaltend populärer Selbstdarsteller. Noch an dem Abend in Brüssel hatte sich Steinbrück dagegen gewehrt, in eine Sendung mit Stefan Raab oder Dieter Bohlen zu müssen, und hatte die Journalisten direkt angesprochen: »Da will ich, Freunde, auch nicht hineingeschrieben werden.« Es hatte damals so ausgesehen, als würden der Fehlstart und die Lächerlichkeit der frühen Wochen die Begegnung mit einem komischen Format nicht überstehen. Später war das Argument hinzugekommen, dass einer wie Raab bei den jungen Leuten, den Erstwählern bekannt und beliebt sei und etwas Schwung in die vorsichtige und ritualisierte Sendung bringen könnte. Er war dann als der Vertreter der Sendergruppe ProSieben/Sat 1 nominiert worden, ein kleiner Gruß von Edmund Stoiber vielleicht, der dort im Beirat sitzt, an Angela Merkel.
Der Wunsch, mit unseren beiden sehr deutschen, vernünftigen und biederen Spitzenpolitikern großes Fernsehen zu machen, war aber in gewisser Weise auch verständlich. Überraschenderweise hatte sich in vielen Ländern neben Kriminal-, Krankenhaus- und Kreuzfahrtschiffserien auch die Politikserie als ein wichtiges und beliebtes Fernsehformat etabliert. Als der amerikanische digitale Filmverleih »Netflix« unter seinen Nutzern fragte, welche Art von besonderer Serie sie kostenpflichtig abonnieren würden, war das Ergebnis »House of Cards«, eine unter anderem von David Fincher inszenierte, mit Kevin Spacey besetzte Politserie, die im Washington unserer Zeit spielt. Nun eignet sich die amerikanische Hauptstadt mit ihren neoklassischen Bauten, ihren plüschigen und ornamentierten Interieurs und dem vielen telegenen Personal besonders gut für cineastisch interessante Bilder. Das begründete schon den Erfolg der weltweit beliebten Serie »West Wing«, die über sieben Staffeln die Geschicke eines von Martin Sheen gespielten, linksliberalen Präsidenten begleitet. Es klappte aber sogar am Beispiel des kleinen Landes Dänemark. In »Borgen«, mit dem albernen deutschen Titel »Gefährliche Seilschaften«, verfolgen wir, wie sich Birgitte Nyborg in die Politik begibt und von ihr schneller verändert wird, als es ihr umgekehrt gelingt, die Politik zu verändern. In beiden Serien steht das moralische Drama im Mittelpunkt: Der Wille, Gutes zu tun, trifft auf eine korrupte und ruchlose politische Umwelt. Privates Glück und öffentlicher Erfolg sind Gegensätze, Loyalität und Rivalität wohnen selbst unter den engsten Freunden bedrohlich nah beieinander.
Politik wird als permanentes Ringen antagonistischer Kräfte gezeigt, verkörpert von schönen Menschen in suggestiver Kulisse. Dort bilden der Staat und seine Symbole, auch die Mitarbeiter, die
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