Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
Schulen sogenannte Pilzberatungsstellen einzurichten. Auch heute würde so ein Vorhaben einen weit bringen. Es nutzt öffentliche Gebäude, rettet Leben, fördert naturnahe Erholung, vegetarische Ernährung und hilft, Geld zu sparen. Der inhärente Drall der üblichen politischen Debatte geht zum Spezifischen, was mein Großvater gerne mit dem Spruch karikierte: »Unsere Briefträger haben keine guten Fahrräder mehr!« Überhaupt ist das Mittel der Satire zur Behandlung des Themas sehr interessant. Hier ist eine britische Serie völlig unerreicht: die BBC Produktion »The Thick of It.«
In ihr geht es exakt um die Machenschaften, den Slang und die Improvisation jener weiten Teile der Politik, die von den Medien kaum beleuchtet wird. Zentrum des Geschehens ist ein obskures Sozialministerium zu Zeiten von New Labour. Zwar hat das Ministerium eigene Berater und Experten, aber es gibt nur einen, der die Ansagen macht, das ist der Alastair Campbell nachempfundene Spin Doctor Malcolm Tucker. Wenn er etwas möchte, stürmt er ohne Umstände und ohne Termin in den Raum, flucht und bedroht den Kollegen wahlweise mit üblen politischen oder direkten körperlichen Konsequenzen. Große Widerworte gibt es nicht.
Eine große Idee verfolgen die dort gezeigten Politiker nicht, die Minister machen ab und zu mehr oder weniger hilflose Unternehmungen, um lyrische Sprüche in den Medien zu lancieren oder symbolische Aktionen auf Spielplätzen zu starten. Das geht aber nur so lange gut, bis der schwer fluchende Berater aus Number Ten Downing Street anrauscht und die ganze Sache stoppt. Manchmal allerdings auch erst, wenn der Minister und sein Team schon im Auto und auf dem Weg zur Veranstaltung sind, wo Fernsehkameras und örtliche Parteigrößen warten, dann muss heftig improvisiert werden. Es ist eine leicht surreale Welt aus kommunikativen Pannen, politischer Planlosigkeit und guten alten Machtkämpfen. Im Kern ist es eine Kritik der Blair-Jahre und ein fernes Echo auf Colin Crouchs Postdemokratie. Das Parlament hat so gut wie nichts zu sagen, auch die Parteibasis und die Verwaltung sind bloß noch Statisten eines Apparats, der ganz darauf optimiert ist, die Spitzenleute im besten Licht erscheinen zu lassen. Und auf sonst nichts.
Natürlich kommt es in der bösen Welt von »The Thick of It« auch vor, dass ein Politiker im Fernsehen, etwa unter den Fragen des legendären Jeremy Paxman, untergeht. Der zuvor so selbstsichere Minister, der die Ratschläge seiner Mitarbeiter arrogant mit einem »Ich war schon mal im Fernsehen, danke Gentlemen« weggewischt hat, verheddert sich in den Zahlen und erleidet ein nervöses Augen-auf-Augen-zu-Syndrom, bei dem man immer das Weiße sieht. Es ist ein demütigendes Desaster, auf der Rückfahrt schreit Malcolm Tucker den peinlichen Minister in charakteristischer Deutlichkeit an: »Du verdienst es nicht zu leben.« Daran dachte ich in Adlershof. Nur dass es an diesem Abend um viel mehr ging.
In der Lounge im Hangarformat wirkten alle Beteiligten etwas verloren und auch nervös. Drohte eine erschütternde Antiklimax? Eine Wiederholung des drögen Zwiegesprächs zwischen Merkel und ihrem Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor vier Jahren?
Vor lauter Gerede über das Was-wäre-wenn hätte ich beinahe den Beginn der Sendung verpasst. Das Studio, in dem Merkel, Steinbrück und die vier Befrager arbeiteten, war von der Gästelounge etwas entfernt, wir sahen es auf Großbildschirmen, public viewing mit baumelnder Einlasskarte um den Hals.
Die Überraschung kam schon in den ersten Minuten. Es waren nicht Steinbrücks Form, die Ergebnisse der Arbeit und der Beratung, die man nun sehr gut sehen konnte. Überraschend war die Bundeskanzlerin. Angela Merkel hatte nichts von der nervenstarken Therapeutin, der nichts Menschliches fremd ist, wie sie es in ihrem Wahlwerbespot so meisterhaft dargestellt hatte. Sie hatte rote Augen und sah nervös und leicht reizbar aus. Die erste Frage von Stefan Raab war in einem anderen Ton gehalten als dem, den sie sonst gewohnt ist: Ob bei ihr, wenn sie den »Wahlomaten« der Bundeszentrale für politische Bildung nutze, am Ende auch wirklich die CDU als Wahlempfehlung herauskomme? Die Frage zielte auf die vielen Schlenker nach links, die Merkel im Verlauf ihrer Kanzlerschaft und speziell noch mal dieses Jahres unternommen hatte. Was war an ihr noch übrig von der alten CDU ? Es war eine Situation, die die Kanzlerin sonst nie erlebte: In direkter Rivalität zu einem
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