Der Zirkus: Ein Jahr im Innersten der Politik (German Edition)
Regel und keine Panne.
Steinbrück schaffte sein Abschlussstatement formvollendet, man hatte zuvor noch eine deutliche Sympathieerklärung von Raab registriert. Merkel gelang nach der für sie ungewöhnlich schwachen Vorstellung auch kein guter Ausstieg mehr. Mit ihren Formulierungen »Sie kennen mich« und »und nun wünsche ich Ihnen noch einen guten Abend« trieb sie es mit der Entpolitisierung des Bundestagswahlkampfs zu weit. Klassischerweise machte die Union in so einer Phase noch einmal ordentlich Angst vor den Kommunisten und spitzte die Alternative zu auf Freiheit statt Sozialismus. Selbst Konservative konnten nicht erfreut sein über eine Kanzlerin, die alle zu Bett schickt.
Das Duell endete nicht mit einem K.o., aber es hatte einen Unterschied bewirkt, der so deutlich ausfiel, wie es das in diesem Format in Deutschland zuvor nie gegeben hatte. Die politische Tektonik, die monatelang nicht die geringste Bewegung zugelassen hatte, war ins Rutschen gekommen. Jeder weiß aus dem Physikunterricht, dass es leichter ist, einen schweren Körper, der sich bewegt, noch etwas weiter zu bewegen, als ihn überhaupt in eine gleichmäßige gleichförmige Bewegung zu bekommen. Das war gelungen: Die Konstellation, die über Monate hinweg das öffentliche Leben bestimmt hatte, mit einer über den Dingen schwebenden, aber kompetenten und zugewandten Kanzlerin und einem lächerlichen, glücklosen Herausforderer, dem Dödel der Nation, war überwunden worden.
Damit fing ein ganz neues Spiel an, allerdings war es nun auch schon sehr spät. Nach den Wunschträumen der SPD -Spitze hätte es schon vor einem Jahr so weit sein können. Nun waren es gerade noch drei Wochen bis zur Wahl, zu kurz, um wirklich tief zu mobilisieren, aber immerhin.
Nach dem Ende der Übertragung lief ich etwas ziellos durch die Weiten der Halle, auch um einen Abgleich zu erhalten, ob die anderen Journalisten den Unterschied auch so deutlich wahrgenommen hatten. Plötzlich kam ein heller Schwarm auf mich zu, mit raschem Tempo. Es war die Kanzlerin, umgeben von einer gewaltigen, sie entschlossen bedrängenden Gruppe aus Kamerateams, Fotografen und Sicherheitsleuten. Das Gewusel hatte etwas Verbissenes, ich wich aus. Doch in die falsche Richtung, offenbar wusste Merkel gar nicht so genau, wohin es gehen sollte. Sie suchte jemanden. Ihre Büroleiterin Beate Baumann ging hektisch voraus und versuchte, die Richtung vorzugeben. Ich wählte, um auszuweichen, gerade die falsche Richtung, die ganze Gruppe kam immer näher. In deren Mitte wirkte Angela Merkel zugleich hyperaktiv und verloren. Ich stand mit dem Rücken zu Ursula von der Leyen, und genau dort wollte die Kanzlerin hin. Als sie ihre Kollegin endlich erreicht hatte, umarmten sich die beiden Frauen, und von meiner Warte sah es einen Moment so aus, als habe Merkel, ganz kurz Trost suchend, ihren Kopf an den Hals der anderen gelehnt.
Die Steinbrück-Entourage war unterdessen zu ihren Autos aufgebrochen, die ihrerseits losgefahren waren, um die Fahrgäste zu suchen. Wenige Minuten nach dem so erfreulich verlaufenen Duell liefen also sein Wahlkampfleiter, sein Medienberater Roland Fäßler, Klaus Staeck und ich im Regen über einen schwarzen Parkplatz und gingen die Sendung durch. Die beiden, die besonders intensiv das Duell vorbereitet hatten, waren einerseits erleichtert, sahen andererseits besonders kritisch die Punkte, die nicht optimal gelaufen waren. Hatte er nicht die Tendenz, zu schnell zu sprechen? Warum hatte er bei der Bemerkung von Merkel zu den geringen Pensionen der Beamten in Bundeswehr oder Justizvollzug nicht geantwortet: »Von denen redet natürlich niemand!« Oder »Das versteht sich doch von selbst?« Genau so hätte er es sagen sollen, sie sprachen es abwechselnd laut in die Nacht.
Klaus Staeck, der so viele Vorsitzende und Kandidaten aus nächster Nähe erlebt hat wie kaum ein anderer Sozialdemokrat, blieb cool. Er hat in diesem Wahlkampf allerdings auch eine Premiere erlebt: So viel Ablehnung aus dem eigenen Lager hatte er zuvor noch nie erfahren. Es ging um seine Postkarte, auf der Angela Merkel zu sehen war, wie sie Uli Hoeneß beim Champions-League-Finale im Wembley-Stadion die Hand schüttelt. Staeck hatte getextet: »Glückwunsch, Uli! Wir Steuern das schon.« Daraufhin hatte sich eine einhellige Front der Ablehnung gebildet, mit teils wirklich aggressiven Texten im »Spiegel« und in der »Süddeutschen Zeitung«. Man sah darin eine Bloßstellung von Hoeneß, die
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