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Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Geschäftsmänner kennen. Vorausgesetzt, einsame Geschäftsmänner waren auch homosexuell, was, wie sie zugeben musste, nicht zwangsläufig der Fall war.
    »Ich finde, die pochierten Eier sehen gut aus«, sagte Merrill.
    »Pochierte Eier, das hört sich gut an.« Doch diese Zustimmung bedeutete nicht, dass Janice sie auch bestellen würde. Für sie waren pochierte Eier Lunch, kein Frühstück. Auf dieser Speisekarte stand vieles, das für sie auch kein Frühstück war: Waffeln, Pfannkuchen nach Hausmacherart, Schwarzer Heilbutt. Fisch zum Frühstück? Das hatte ihr noch nie eingeleuchtet. Bill hatte gern geräucherte Heringe gegessen, aber das erlaubte sie ihm nur, wenn sie in einem Hotel waren. Die verpesten die ganze Küche, sagte sie immer zu ihm. Und sie stießen einem den ganzen Tag lang auf. Was vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, sein Problem war, aber trotzdem. Sie hatten einige Auseinandersetzungen darüber gehabt.
    »Bill hat immer gern Räucherheringe gegessen«, sagte sie liebevoll.
    Merrill sah sie an und überlegte, ob sie einen logischen Schritt in der Unterhaltung verpasst hatte.
    »Natürlich, du hast Bill ja nicht gekannt«, sagte Janice, als sei es ein Fauxpas von Bill gewesen – für den sie sich nun entschuldigte –, dass er gestorben war, bevor er Merrills Bekanntschaft machen konnte.
    »Meine Liebe«, sagte Merrill, »bei mir ist jedes zweite Wort Tom hier und Tom da, wenn du nicht aufpasst, fang ich gleich wieder an.«
    Da nun gewissermaßen Einigkeit über die Rahmenbedingungen des Frühstücks bestand, vertieften sie sich wieder in die Speisekarte.
    »Wir haben uns Der schmale Grat angeschaut«, sagte Janice. »Wir fanden den Film sehr gut.«
    Merrill fragte sich, wer »wir« sein mochte. Früher hätte »wir« bedeutet »Bill und ich«. Was bedeutete es jetzt? Oder war das einfach nur die Macht der Gewohnheit? Vielleicht brachte Janice es auch nach drei Jahren Witwenschaft nicht über sich, wieder zum »Ich« zurückzukehren.
    »Ich mochte ihn gar nicht«, sagte Merrill.
    »Oh.« Janice warf einen verstohlenen Blick auf ihre Speisekarte, als könnte sie da Hilfe finden. »Wir waren sehr angetan von den großartigen Bildern.«
    »Ja«, sagte Merrill. »Aber ich fand ihn, nun ja, langweilig.«
    »Wir haben Little Voice gar nicht gemocht«, bot Janice zum Ausgleich an.
    »Ach, ich war einfach hingerissen.«
    »Ehrlich gesagt sind wir nur wegen Michael Caine reingegangen.«
    »Ach, ich war einfach hingerissen.«
    »Meinst du, er hat einen Oscar bekommen?«
    »Michael Caine? Für Little Voice?«
    »Nein, ich meine – überhaupt.«
    »Überhaupt? Ich nehme es an. Nach so langer Zeit.«
    »Nach so langer Zeit, ja. Er muss doch fast so alt sein wie wir.«
    »Meinst du?« Merrills Ansicht nach redete Janice viel zu viel über das Altwerden oder jedenfalls über das Älterwerden. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie so europäisch war.
    »Wenn nicht, wird er es bald sein«, sagte Janice. Sie überlegten beide und mussten dann lachen. Nicht, dass Merrill diese Meinung teilte, selbst wenn sie den Scherz zu würdigen wusste. Das war doch das Besondere an Filmschauspielern – sie schafften es irgendwie, nicht im normalen Tempo zu altern. Mit diesen Operationen hatte das gar nichts zu tun. Irgendwie blieben sie immer so alt wie zu der Zeit, als man sie zum ersten Mal gesehen hatte. Selbst wenn sie dann reifere Rollen spielten, nahm man ihnen das nicht so recht ab; man hielt sie immer noch für jung, nur dass sie alt spielten – und das oft nicht sehr überzeugend.
    Merrill mochte Janice sehr, fand sie aber immer ein bisschen nachlässig gekleidet. Sie blieb beharrlich bei Grau-, Hellgrün- und Beigetönen und tat nichts gegen die grauen Strähnen im Haar, was die Sache auch nicht besser machte. Das sah so natürlich aus, dass es schon wieder künstlich wirkte. Selbst dieses Umhängetuch, das sie wie zum Beweis des guten Willens an einer Schulter festgesteckt hatte, war grünlich-grau, zum Donnerwetter. Und Hosen passten dazu nun gar nicht, jedenfalls nicht solche. Ein Jammer. Dabei könnte sie früher durchaus mal hübsch gewesen sein. Natürlich keine Schönheit. Aber hübsch. Reizvolle Augen. Nun ja, einigermaßen reizvoll. Nicht, dass sie etwas unternahm, um das hervorzuheben.
    »Schrecklich, was da auf dem Balkan passiert«, sagte Janice.
    »Ja.« Merrill hatte schon lange aufgehört, diese Seiten in der Sun-Times zu lesen.
    »Man sollte Milosevic mal eine Lehre erteilen.«
    »Ich weiß

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