Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zitronentisch

Der Zitronentisch

Titel: Der Zitronentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
Vom Netzwerk:
der Trompete.« Ich lernte schnell, dass ich ihnen keine Chance lassen durfte zu erklären, wie sie sich diese ekelhafte Halsentzündung zugezogen hatten, und sie würden es auch nie wieder tun und Ähnliches mehr. »Also vielen Dank, Sir, wir wären Ihnen sehr verbunden …« Damit zog ich dann ab, und zurück blieb dieses Wir als Bestätigung meines quasi-offiziellen Status.
    Bei Frauen ging ich anders vor. Man muss, wie Andrew bereits anmerkte, zwischen »du dämliche Fotze« und »du blöde Sau« unterscheiden können. Und oft war da noch das Problem des männlichen Begleiters oder Ehemanns, der eine Regung aus der Zeit in sich spüren könnte, als Höhlenwände mit eleganten Freihandzeichnungen rotsti chiger Bisons beschmiert wurden. »Das mit Ihrem Husten tut uns wirklich Leid, gnädige Frau«, sagte ich in leisem, fast schon ärztlichem Ton. »Aber das Orchester und der Dirigent finden ihn doch ein wenig störend.« Bei nähe rer Überlegung war das sogar noch ungehöriger; eher so etwas wie ein umgebogener Rückspiegel als ein Donner schlag aufs Dach.
    Ich wollte aber auch aufs Dach ballern. Ich wollte ungehörig sein. Das schien mir nur angemessen. Darum entwickelte ich verschiedene Formen des Affronts. Zum Beispiel spürte ich den Täter auf (statistisch gesehen war es meist ein Er), folgte ihm dahin, wo er mit seinem Pausenkaffee oder seinem kleinen Bier stand, und erkundigte mich in einem Ton, den Therapeuten non-konfrontativ nennen würden: »Verzeihung, sind Sie ein Kunstfreund? Besuchen Sie Museen und Galerien?«
    Das rief gewöhnlich eine positive Antwort hervor, selbst wenn darin ein misstrauischer Unterton mitschwang. Vielleicht hatte ich ein verstecktes Klemmbrett und einen Fragebogen? Darum ließ ich meiner Eingangsfrage rasch weitere folgen. »Und welches würden Sie als Ihr Lieblingsbild bezeichnen? Oder sagen wir eins Ihrer Lieblingsbilder?«
    Diese Frage gefällt den Leuten, und so wurde ich mit Constables Heuwagen , Velazquez’ Venus mit Spiegel , Monets Seerosen und dergleichen belohnt.
    »Und nun stellen Sie sich mal vor«, sagte ich dann, ganz höflich und munter. »Sie stehen vor der Venus mit Spiegel, und ich stehe neben Ihnen, und während Sie dieses un glaublich berühmte Bild betrachten, das Sie mehr lieben als alles auf der Welt, spucke ich es plötzlich an, und ganze Teile der Leinwand sind mit Spucke bedeckt. Das mache ich nicht nur einmal, sondern mehrfach. Was würden Sie davon halten?« Und das weiterhin im Tonfall eines ver nünftigen Menschen, der sehr wohl ein Klemmbrett bei sich haben könnte.
    Die Antworten bewegen sich zwischen Handlungsabsicht und Meinungsäußerung, zwischen »Ich würde das Wachpersonal rufen« und »Ich würde Sie für übergeschnappt halten«.
    »Genau«, antworte ich und rücke ein bisschen näher. »Darum unterlassen Sie es« – dabei knuffe ich sie manchmal gegen die Schulter oder vor die Brust, und dieser Knuff ist etwas stärker als erwartet –, » unterlassen Sie es, bei Mozart zu husten. Das ist, als würde man die Venus mit Spiegel anspucken.«
    Jetzt werden sie meistens verlegen, und einige wenige haben den Anstand, so zu reagieren, als wären sie bei einem Ladendiebstahl ertappt worden. Ein, zwei sagen auch: »Wer sind Sie überhaupt?« Worauf ich antworte: »Einfach ein Mensch, der genauso für seinen Platz bezahlt hat wie Sie.« Beachten Sie, dass ich nie behaupte, eine offizielle Funktion innezuhaben. Dann füge ich noch hinzu: »Und ich werde Sie im Auge behalten.«
    Manche lügen auch. »Das ist Heuschnupfen«, sagen sie, und dann antworte ich: »Und das Heu haben Sie mitgebracht, ja?« Einer, der aussah wie ein Student, wollte sich für seine Zeitplanung entschuldigen: »Ich dachte, ich kenne das Stück. Ich dachte, jetzt käme gleich ein Crescendo und kein Diminuendo.« Den hab ich mit Blicken durchbohrt, wie Sie sich wohl denken können.
    Aber ich kann nicht behaupten, dass alle entweder entgegenkommend oder geknickt wären. Wunderliche Alte in Nadelstreifen, sture Arschlöcher, Macho-Typen mit schwatzhaften Weibern im Schlepptau: Das kann heikel werden. Wenn ich denen mit meiner Masche komme, sagen die womöglich nur: »Was bilden Sie sich eigentlich ein?« oder »Machen Sie, dass Sie wegkommen« – so was in der Art, ohne auf das eigentliche Thema einzugehen, und manche schauen mich an, als wäre ich der Irre, und lassen mich einfach stehen. So ein Benehmen mag ich nicht, ich finde es unhöflich, darum geb ich manchmal der Hand

Weitere Kostenlose Bücher