Der zögernde Schwertkämpfer
diesen feierlichen Akt abzulegen.
»So«, sagte er, während er sich erhob, »werdet Ihr jetzt Ihre Heiligkeit besuchen gehen, mein Gebieter?«
An den meisten Tagen ging Wallie so ungefähr um diese Zeit zu Honakura, und heute gab es einen dringenden Anlaß dafür. Irgendwie mußte er jetzt endlich einen Plan fassen, und Honakura war der einzige, der ihm dabei helfen konnte. »Warum willst du das wissen?« fragte er, da er etwas ahnte.
»Ich habe ein Schwert zu verkaufen. Beim Schwertschmied liegt der Rest meines Geldes bereit, und ich möchte alles vor unserer Abreise meinen Eltern geben.« Er setzte eine Miene großer Tugendhaftigkeit und Unschuld auf.
Schwertkämpfer in ihrer Eigenschaft als Athleten erklommen die Stufen entschieden schneller, als es in anderen Zünften der Fall war. Die meisten von Nnanjis Freunden aus Kindertagen waren wahrscheinlich noch Zweit- oder sogar Erststufler. Ein Schwertkämpfer der Vierten Stufe war ein wichtiger und maßgebender Mitbürger. Sein Vater, so hatte Wallie durch eine beiläufige Erwähnung erfahren, gehörte der Dritten Stufe an. Außerdem waren da noch verschiedene jüngere Brüder und Schwestern, die es zu beeindrucken galt.
Er hatte also doch einige menschliche Regungen!
»Zwei Stunden!« sagte Wallie und war in derselben Sekunde allein, wobei er das Gefühl hatte, daß dieses freche Katzengrinsen immer noch vor ihm in der Luft hing, in der Eile zurückgelassen.
Er begab sich auf den Weg zum Tempel.
Seine Heiligkeit Honakura war nicht zu sprechen.
Während er gegen eine ständig zunehmende Ahnung einer Gefahr ankämpfte, unternahm Wallie einen Streifzug in seinen unvertrauten Stiefeln. Er inspizierte noch einmal die große Mauer, suchte nach Bäumen, deren Äste vielleicht darüberhingen, doch keiner stand dicht genug daran oder war hoch genug. Ein paar zerfallende alte Gebäude lehnten sich an die Mauer an, doch keines davon war so hoch, daß es ihm ohne Leiter die Flucht erlaubt hätte. Er stand unter Beobachtung, das wußte er, und das Mitführen von Leitern war zu aufsehenerregend.
Er bedauerte zutiefst, daß er seinen sogenannten Schläfer aufgedeckt hatte. Das war ein Fehler gewesen, doch es hatte Tarru zu einem noch größeren Fehler verleitet. Der Blutschwur war keine ganz und gar einseitige Verpflichtung, denn der Gebieter eines Vasalls schuldete diesem Schutz. Tarru hatte leichtherzig Gorramini weggeworfen. Bestimmt hatte er schon zuvor Probleme mit der Motivation seiner Männer gehabt, und jetzt mußten sie eigentlich noch viel größer sein. Es konnte durchaus passieren, daß er sich zu einer unbedachten Verzweiflungstat hinreißen ließ.
Das einzige Bruchstück eines Plans, das Wallie einfiel, war, sich verkleidet durch das Tempeltor zu mogeln. Ein Plan, nicht besser als ein leckes Boot. Nnanji wäre erschüttert über ein so unehrenhaftes Vorgehen, und es bedeutete, sich unbewaffnet davonzumachen. Es war entsetzlich riskant – Shonsus Körper war so verdammt riesig und auffallend –, doch es gab offenbar keine andere Möglichkeit. Sogar die Karren der Lieferanten wurden beim Hinausfahren durchsucht, so hatten wenigstens die Sklaven berichtet. Und dann wäre es immer noch ein sehr weiter Weg zur Fähre.
Und welche Verkleidung käme in Frage? Der Pferdeschwanz eines Schwertkämpfers war unabdingbar und wäre sofort zu erkennen gewesen. Die Gesichtsmale der Menschen hier waren geheiligt. Damit Schindluder zu treiben, war ein Kapitalverbrechen. Zögernd war Wallie zu dem Schluß gekommen, daß Shonsu, Schwertkämpfer der Siebten Stufe, zu einer Frau werden mußte, wobei er die langen Haare benutzen konnte, um seine Stirn zu verbergen. Die einzigen Leute, die er mit bedeckter Stirn gesehen hatte, waren weibliche Sklaven, und wahrscheinlich war ihnen das nur deshalb gestattet, weil sich die Sklavenstreifen über das ganze Gesicht zogen.
Langsam dörrte er in der Hitze aus, da die sengende Sonne immer grausamer wurde, und – immer noch in Gedanken versunken – machte er sich auf den Weg zurück zu den Unterkünften. Auf dieser Seite wuchs das Gestrüpp bis weit zu den Gebäuden hinauf, und sein Weg führte ihn über einen gepflasterten Pfad, der sich zwischen hohem Buschwerk hindurchwand, fast wie durch einen Dschungel. Häufige Querpfade und überhängende Zweige bildeten einen Irrgarten. Er kannte sich in diesem Bereich nicht aus, obwohl er sich kaum ernsthaft verlaufen konnte. Eine Zeitlang wanderte er ziellos dahin, teilweise über seine
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