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Der zögernde Schwertkämpfer

Der zögernde Schwertkämpfer

Titel: Der zögernde Schwertkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Duncan
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Pilger vor ihm mühten sich auf ihrem Weg die Stufen hinauf voran und verteilten sich oben in alle Richtungen wie Sprudelblasen, die in einem Glas aufsteigen.
    Er ging geradewegs über den freien Platz, bis er mit dem mittleren Bogen auf einer Linie stand, dann nahm er Anlauf und stürmte die Stufen hinauf, ohne genau zu wissen, ob er das tat, weil er ein Siebentstufler war und dieses Verhalten für einen solchen für angemessen hielt, oder weil diese seine ganz persönliche Illusion war und er deshalb seine Einmaligkeit noch steigern wollte.
    Während er weiterkletterte, bemerkte er, daß die am oberen Ende der Treppe dicht gedrängten Pilger alle mit dem Gesicht zum Tempel knieten. Er beschloß, daß er sich nicht hinknien würde, aber er war sich noch nicht sicher, was er tun würde. Sich vielleicht einen Priester packen und verlangen, mit Mr. Honakura zu sprechen.
    Und dann? Der kleine Junge hatte ihn gewarnt, daß er in eine Falle tappen würde. Doch müßte er im Tempel selbst eigentlich gegen einen plötzlichen Tod gefeit sein, oder nicht?
    Er war fast oben angekommen, als eine Glocke zu läuten begann, tief und bedrohlich und lauter als das Gurgeln des Wasserfalls. Die Pilger erhoben sich sofort und wandten sich um. Weitere Menschen strömten aus dem Tempel und gesellten sich zu ihnen. Im ersten Moment dachte er, sie blickten alle ihn an, und das war tröstend, denn das war etwas so Unmögliches, wie es nur in Träumen geschah, doch gleich darauf erkannte er, daß nicht ihm die Aufmerksamkeit galt – Waffen waren gezückt worden.
    Er hielt inne und drehte sich ebenfalls um. Der Anblick war umwerfend: Der Platz, der See und die ganze Schlucht bis zu der schäumenden weißen Wand des Wasserfalls waren von einem Regenbogen eingerahmt. Einen Augenblick lang dachte er daran, wie entzückt Neddy bei diesem Schauspiel gewesen wäre – Neddy war ganz wild auf Wasserfälle.
    Er wünschte, er hätte einen Fotoapparat dabei gehabt. Sein ganzes Leben lang hatte Wallie Smith eine Brille getragen, doch jetzt entging ihm nicht die kleinste Einzelheit dieses Anblicks. Das war ebenfalls typisch für Träume. Wozu jedoch die Aufregung? Trieb vielleicht jemand in einem Faß den Wasserfall hinunter?
    Nicht ganz.
    Auf halber Höhe des Wasserfalls ragte aus der Felswand ein flacher Vorsprung heraus und bildete so etwas wie eine grün überzogene Plattform, und seine überraschend scharfen Augen erkannten Menschen darauf. Während er hinsah, schwebte einer von ihnen in den freien Raum davon, zuerst langsam, dann wurde er immer schneller und verschwand schließlich in der Gischt darunter.
    Menschenopfer?
    Die Glocke läutete immer noch.
    Unten am Rand des Wassers stand eine kleine Gruppe von Männern und ganz wenigen Frauen. Ein zweiter Körper segelte von dem Felsvorsprung. Der Fluß würde ihn bis in den Teich mitreißen, denn jetzt konnte er auch die Wirbel in der Strömung sehen. Und da kam der erste auch schon an, mit dem Gesicht nach unten wurde er getrieben und drehte sich langsam. Die Zuschauer am Ufer rannten mit langen Stöcken über den Kies, offenbar nicht willens, sich die Füße naß zu machen. Der Körper wich ihnen aus, trudelte aus ihrer Reichweite, wurde vom Fluß weggetragen, über den Rand des großen Platzes hinaus und hinter dem Tempel aus der Sicht. Der zweite näherte sich. Er wurde zur Überprüfung ans Ufer gezogen, doch dann wieder hinausgestoßen, da er offensichtlich tot war.
    Insgesamt geschahen unter Wallies Augen fünf Morde. Alle fünf Leichen wurden vom Fluß weggetragen. Die auf dem Vorsprung zurückgebliebenen Gestalten formierten sich und marschierten im Gleichschritt von dannen; es waren also zweifellos Schwertkämpfer. Da hast du dir ja einen netten Beruf ausgesucht, Wallie Smith! Er war angewidert. Zuerst Sklaven und jetzt Menschenopfer! Hätte seine Phantasie ihm nicht eine bessere Welt als ausgerechnet diese schaffen können? Doch das Dilemma war immer noch das gleiche – wenn diese Welt wirklich war, dann gab es keine Erklärung, wie er hierhergekommen war, weder nach den Regeln seiner Welt noch nach denen dieser, denn Honakura und Jja waren ebenso verwirrt gewesen wie er. Menschenopfer oder nicht, er konnte nur weiterhin an dem Glauben festhalten, daß sich all dies in seinem durch das Fieber gestörten, kranken Gehirn abspielte.
    Er stieg die restlichen Stufen hinauf, so schnell er konnte. Die Pilger waren wieder auf die Knie gesunken und blickten in die ihm abgewandte Richtung. Kurz

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