Der Zorn der Götter
lernen, traumhafte Orte. Wenn du das nächste Mal herkommst, zeige ich dir, wie du deine Träume verwirklichen kannst.«
Lügnerin.
In der Woche nach ihrem Schulabschluss kam Kelly wieder in die Bibliothek. »Kelly«, sagte Mrs. Houston, »weißt du noch, wie ich dir gesagt habe, dass du deine Wunder Wirklichkeit werden lassen musst?«
»Ja«, erwiderte Kelly skeptisch.
Mrs. Houston griff hinter ihren Schreibtisch und holte eine Hand voll Zeitschriften hervor: COSMOgirl, Glamour, Mademoiselle, Essence, Allure … Sie reichte sie Kelly.
Kelly betrachtete sie. »Was soll ich denn damit?«
»Hast du schon mal daran gedacht, Mannequin zu werden?«
»Nein.«
»Schau dir diese Zeitschriften an. Danach sagst du mir, ob dir dabei eine Idee gekommen ist, wie auch du etwas Wunderbares mit deinem Leben anfangen kannst.«
Sie meint es gut, dachte Kelly, aber sie hat ja keine Ahnung. »Vielen Dank, Mrs. Houston. Wird gemacht.«
Nächste Woche suche ich mir einen Job.
Kelly nahm die Zeitschriften mit in die Pension, schob sie in eine Ecke und widmete sich dann ihren allabendlichen Pflichten.
Als sie an diesem Abend erschöpft zu Bett gehen wollte, fielen ihr die Zeitschriften wieder ein, die Mrs. Houston ihr gegeben hatte. Aus reiner Neugier suchte sie sich ein paar heraus und blätterte sie durch. Sie zeigten eine andere Welt. Die Models auf den Fotos trugen wunderschöne Kleider, waren in Begleitung gut aussehender, eleganter Männer, die ihnen London, Paris und alle möglichen exotischen Orte auf der ganzen Welt zeigten. Mit einem Mal packte sie eine ungeheure Sehnsucht. Rasch zog sie einen Morgenmantel über und lief den Flur entlang zum Badezimmer.
Sie betrachtete sich im Spiegel. Vermutlich war sie wirklich attraktiv. Jeder behauptete es. Selbst wenn es stimmt, dachte Kelly, habe ich keinerlei Erfahrung. Sie dachte an ihr künftiges Dasein in Philadelphia und warf einen weiteren Blick in den Spiegel. Jeder muss mal irgendwo anfangen. Du musst die Zauberin sein, die dafür sorgt, dass die Wunder Wirklichkeit werden.
Am nächsten Morgen ging Kelly in aller Frühe in die Bibliothek, um mit Mrs. Houston zu sprechen.
Mrs. Houston blickte erstaunt auf, als sie Kelly zu so früher Stunde in der Bibliothek sah. »Guten Morgen, Kelly. Hast du dir die Zeitschriften schon angesehen?«
»Ja.« Kelly holte tief Luft. »Ich würde gern Model werden. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich das anfangen soll.«
Mrs. Houston lächelte. »Ich schon. Ich habe mir das New Yorker Telefonbuch vorgenommen. Du hast doch gesagt, du möchtest diese Stadt verlassen.« Mrs. Houston nahm ein Blatt Papier aus ihrer Handtasche und reichte es Kelly. »Das ist eine Liste mit den besten Model-Agenturen in Manhattan, samt Adressen und Telefonnummern.« Sie drückte Kelly die Hand. »Fang oben an.«
Kelly war fassungslos. »Ich … ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll …«
»Das kann ich dir sagen. Sorge dafür, dass ich Fotos von dir in diesen Zeitschriften sehe.«
»Ich habe beschlossen, Model zu werden«, sagte Kelly an diesem Abend beim Essen.
Ihr Stiefvater schnaubte. »Das ist die blödeste Idee, die du bislang hattest. Was zum Teufel ist mir dir los? Sämtliche Models sind Nutten.«
Kellys Mutter seufzte. »Kelly, mach nicht den gleichen Fehler wie ich. Auch ich hatte Flausen im Kopf. Die bringen einen um. Du bist arm und schwarz. Du wirst es zu nichts bringen.«
In diesem Augenblick hatte Kelly ihre Entscheidung getroffen.
Am nächsten Morgen um fünf Uhr nahm Kelly den Koffer, den sie während der Nacht gepackt hatte, und begab sich zum Busbahnhof. In ihrer Handtasche waren zweihundert Dollar, die sie sich beim Babysitten verdient hatte.
Die Busfahrt nach Manhattan dauerte zwei Stunden, in denen sich Kelly ihren Zukunftsfantasien hingab. Sie hatte vor, Model zu werden. »Kelly Hackworth« klang allerdings nicht besonders professionell. Ich weiß, was ich mache. Ich benutze nur meinen Vornamen. Ein ums andere Mal sagte sie den Satz lautlos vor sich hin: Und das ist unser Topmodel Kelly.
Sie stieg in einem billigen Motel ab, und um neun Uhr trat sie durch die Eingangstür der Model-Agentur, die ganz oben auf Mrs. Houstons Liste stand. Kelly war ungeschminkt und trug ein zerknittertes Kleid, da sie keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, ihre Sachen zu bügeln.
Am Empfang war niemand, aber sie sah einen Mann, der in einem Büro saß und irgendetwas aufschrieb.
»Entschuldigen Sie«, sprach
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