Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
Licht drang aus der Pforte des Tempels, als Výclas sie öffnete. Fünf Ordensmitglieder hatten sich bereits im Inneren versammelt, vier Männer in schlichten Priestergewändern und eine Frau, die eine besonders kostbare Robe trug. Sie ist die Keralýa des hiesigen Tempels, erkannte Cornel erstaunt. Frauen waren im Orden nicht allzu häufig anzutreffen, und noch seltener kam es vor, dass eine von ihnen als höchste Priesterin eines Tempels fungierte.
Die Keralýa war noch nicht alt, aber ihr kurzes Haar war schon vollkommen weiß, was die Würde ihres Amtes unterstrich. Ihre blauen Augen lagen tief in ihrem ernsten Gesicht, und sie musterte Cornel eindringlich.
»Ah, Výclas und unser wlachkischer Gast. Kommt herein, Brüder, dann sind wir vollzählig«, sagte sie mit einer tiefen, volltönenden Stimme, und Cornel und sein Begleiter kamen ihrer Aufforderung unverzüglich nach.
»Ich will«, fuhr die Keralýa fort, »dass ihr dem hohen Gast, den wir heute erwarten, alle Ehre erweist, die er verdient. Keine hastigen oder respektlosen Bemerkungen!«
Bei diesem Satz streifte der Blick ihrer blauen Augen kurz Výclas, und Cornel fragte sich, in welcher Situation der Priester sich wohl derart ungebührlich verhalten haben mochte, um diesen Tadel zu verdienen.
»Wir werden den Worten des Vezéts lauschen, uns eine
Meinung bilden und uns später über alles beraten, was wir gehört haben. Aber solange unser Gast hier ist, sprechen wir mit einer Stimme. Meiner. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
Ihre Worte waren kraftvoll und überzeugend. Alle Priester nickten und bezogen an den Tempelwänden zeremoniell Aufstellung.
Sie hatten kaum ihre Plätze eingenommen, als sich Schritte näherten und kurz darauf an die Tür geklopft wurde. Herein kam ein noch junger Mann, der ein einfaches Kettenhemd und lederne Arm- und Beinschienen trug. Seiner Rüstung fehlte jeglicher Zierrat, dafür sah sie aus, als ob er sie nur zum Schlafen ablegte. Begleitet wurde er von einer Frau und einem Mann, die beide masridische Plattenpanzer trugen. Verwundert erkannte Cornel Baczai. Er hat sich schnell einen neuen Herrn gesucht, dachte er. Aber was sollte er sonst auch machen? Ein Krieger ohne einen Anführer ist machtlos. Jeder Masride muss die Entscheidung treffen, wem er folgen wird.
Der Mann in ihrer Mitte wirkte seltsam glanzlos gegen seine beiden Begleiter. Sein Haar war mittelbraun, seine Züge grobknochig und seine Nase offenkundig mehrfach gebrochen. An den Seiten trug er zwei schlichte, lange Jagdmesser, die aussahen, als seien sie häufig in Benutzung.
Zielstrebig bewegte er sich auf die Keralýa zu. Beide legten die Hände auf die Oberarme ihres Gegenübers und berührten sich formell mit den Wangen.
»Esya«, meinte der Mann erfreut. »Es tut gut, dich zu sehen.«
»Vikolyi Arkós!«
Die Keralýa löste sich aus der Umarmung und deutete auf die Priester, die an den Tempelwänden standen. »Unser Orden heißt Euch gern willkommen, Vezét.«
Durch die förmliche Anrede machte sie dem Adeligen
unmissverständlich klar, dass dies kein Besuch unter Freunden war; was immer sein Anliegen sein mochte, er brachte es einer Priesterin des Albus Sunaş vor.
Vikolyi Arkós trat zurück und räusperte sich nervös. Seine Begleiterin und Baczai hatten hinter ihm Stellung bezogen und rührten sich nun nicht mehr. Ihr Auftreten wirkte zwar nicht bedrohlich, sie sahen aber doch angespannt aus. Arkós muss ihnen unbedingt vertrauen, wenn er sie zu einer solchen Besprechung mitnimmt, schoss es Cornel durch den Kopf.
»Dann will ich gleich zur Sache kommen, viermal verflucht«, hob der Besucher an. »Du weißt, wie sehr mich all die Förmlichkeiten langweilen, die der Hof von mir verlangt. Mir wird übel, wenn ich nur das Geschwafel höre. Ich bin kein Mann des Wortes, Esya. Das war ich noch nie. Aber ich bin ein Mann, der weiß, wann er zu kämpfen hat und wann er Frieden halten muss. Sziglos hat nur seinen Ruhm im Sinn, und den sucht er in Wlachkis. Für einen siegreichen Kriegszug wäre er bereit, selbst die Knochen des alten Zorpad heraufzubeschwören und diesen in die Schlacht zu schicken.«
Neben sich hörte Cornel einen Laut, der sowohl ein unterdrücktes Lachen als auch ein Husten hätte sein können. Doch als er sich zu Výclas umsah, blickte dieser angestrengt geradeaus.
Die Keralýa nickte zu den Worten des Adeligen. »Ich verstehe Eure Bedenken, Vezét«, sagte sie langsam. »Aber viele Masriden lieben Sziglos Békésar.
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