Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
Frieden?«
Das letzte Wort hatte er beinahe ausgespien. Unsicher kratzte sich der alte Mann am stoppeligen Kinn, schwieg aber.
Geduldig wartete Natiole, während Vintila noch einen Schluck Wein trank und dann vorsichtig sagte: »Für Euren Vater stand Wlachkis immer an erster Stelle. Ganz sicher denkt er auch weiterhin an das ganze Land zwischen den Bergen.«
Die Stimme des Geistsehers klang wenig überzeugt, aber
Natiole hakte nicht nach. Er konnte den Zweifel in der beschämten Miene des alten Mannes auch so sehen.
»Mein Rücken schmerzt«, fuhr Vintila fort. »Ich werde mich wieder setzen.«
»Sichere Wege«, murmelte der junge Wlachake, während der Geistseher zu seinem Platz zurückhumpelte. Zur Linken des Tisches des Hauses cal Sareş wurde er von einigen anderen Geistsehern empfangen, die dort zusammensaßen. Jahrhundertelang hatten sich Angehörige des alten Glaubens verbergen müssen, denn der Albus Sunaş duldete sie nicht und jagte sie, wo er konnte. Viele der alten Wege waren in Vergessenheit geraten, überwuchert vom Gestrüpp der Jahrhunderte, aber schon mit Ionnas Sieg über Zorpad hatte es eine neue Blüte des wlachkischen Glaubens gegeben. Damals waren alle Sonnenpriester aus dem Land gejagt worden, und es hatte nicht wenige Tote unter ihnen gegeben, denn die Wlachaken rächten sich für all das Leid, das ihnen widerfahren war.
Natioles Mutter Viçinia allerdings hatte den Orden im Westen des Landes wieder erlaubt. Zunächst nur wenige Priester, denn der Albus Sunaş war ursächlich an Zorpads Machenschaften beteiligt gewesen und hatte versucht, sich der Macht des Dunkelgeists zu bedienen, statt ihn zu besänftigen, wie es die Geistseher einst getan hatten, und erst das Eingreifen der Trolle hatte dies beendet.
Aus Natioles Sicht war es ein Fehler gewesen, den Orden wieder Fuß fassen zu lassen. Zu viele Menschen hatten den Glauben an die alten Wege der Wlachaken verloren und fanden sich nun in den Tempeln des Albus Sunaş wieder. Zwar achtete der Voivode darauf, dass die Sonnenpriester größtenteils selbst Wlachaken waren, doch ihre Wurzeln führten in den Osten, zu den Masriden, die immer noch fast die gesamte Führung des Ordens stellten. Nein, denen ist nicht zu trauen, egal wie sehr sie ihre Neutralität beteuern. Das sind bloße Lippenbekenntnisse, mehr nicht.
Nach dem Essen löste sich allgemein die Tischordnung auf. An den Tafeln fanden sich Gruppen gleicher Gesinnung wieder, die dem Wein zusprachen und sich gegenseitig unterhielten. Überall wurden die alten Geschichten erzählt; eigentlich ein Brauch für die Totenfeier, aber Şten hielt es jedes Jahr zur Feier der Thronbesteigung so, dass er jener gedachte, die nicht mehr unter ihnen weilten. Inzwischen war dies eine Tradition. Natiole war sich sicher, dass sein Vater sich heute auch bereits die Zeit genommen hatte, Viçinias Grab zu besuchen.
Er selbst stand außerhalb der Feier. Ein Fremder im eigenen Land, unbeachtet und ohne Verpflichtungen. Aber nicht ganz unbeachtet, wie er bemerkte, als die Dyrierin zu ihm schritt.
»Ihr scheint gern zu beobachten, Knai.«
Die Anrede überraschte ihn, doch er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Ihr Wlachkisch war fehlerlos, selbst die Aussprache klang wie bei einer Einheimischen. Es war ein interessanter Kontrast zu der Exotik ihres Aussehens.
»Ihr auch, wenn ich mich nicht irre«, entgegnete er milde und eingedenk des Versprechens, das er seinem Vater gegeben hatte.
Ein Lächeln huschte über ihre Züge. Die schwarz umrandeten Augen fixierten ihn, als wäre er ein gefangenes Tier, mitgeführt von fahrendem Volk, eine Attraktion, die es zu begaffen galt.
»In meiner Heimat gehört das zu einem Fest dazu. Sehen und gesehen werden. Feinste Stimmungen zwischen den Gästen zu spüren, jede Veränderung zu erahnen. Wer redet mit wem? Über welches Thema? Und wie lange?«
»Das klingt furchtbar langweilig«, erwiderte Natiole und nahm noch einen Schluck Wein. Sein Bruder mochte auf die eitlen Spiele der Dyrier hereinfallen und sich von ihrer
überheblichen Art blenden lassen, aber er war aus einem anderen Holz geschnitzt.
»Manchmal ist es sehr unterhaltsam. Aber oft ist es auch töricht«, gestand sie gleichmütig. »Vor allem, wenn es alle tun und jede Handlung nur noch diesem Zweck dient. Aber das erklärt nur, warum ich gern beobachte. Nicht, warum Ihr dies tut.«
Verstimmt blickte er sie an. Ihr Lächeln war zuckersüß, und sie hatte den Kopf leicht geneigt. Wären
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