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Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle

Titel: Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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Preis dafür gezahlt. Denn mit der Kraft des Herzens kam auch sein Leid. Die Trolle, die dem Ruf nicht gefolgt waren, spürten nur einen Schatten von dem, was Azot und seine Brüder und Schwestern antrieb. Was Anda zu dem gemacht hatte, was sie schließlich geworden war. Bis auf Kerr, der ein Gänger beider Wege war und so verstehen konnte.
    Diesmal waren die Bilder lebendiger, farbiger. Etwas hatte sich verändert, als ob der Schläfer langsam erwachte, seine Träume sich der Wirklichkeit näherten, sie übernahmen. Das Herz schlief nicht immer ruhig, das wusste Azot. Aber so hatte er den Atem noch niemals vernommen. Rastlosigkeit schwang darin mit, ein seltsames Entsetzen. Wie ein Ertrinkender es fühlen mochte. Oder ein Träumender, der nicht aufwachen will. Unsicher, woher diese verwirrenden Gedanken kamen, erhob sich Azot. Zu sehr trieb ihn das Herz voran. Ihm missfiel diese Veränderung, wie er überhaupt allen Veränderungen misstrauisch gegenüberstand. Unvermittelt wünschte er, Kerr wäre bei ihm, damit er mit ihm darüber reden konnte.
    Auf dem Rückweg hielt er am Schacht inne. Der schwache Luftzug trug Geräusche an sein Ohr. Gesänge, durch den langen Weg in die Tiefe verzerrt. Die Menschen an der kalten Oberfläche sangen, und Azot stand am Schacht und lauschte ihnen voller Unbehagen.

16
    D er Anblick der Flammen lähmte Natiole. Er wusste, dass er etwas tun sollte, doch kein Muskel in seinem Leib bewegte sich. Es war keine Angst, die ihn erstarren ließ. Ein ungeheuerlicher Gedanke keimte in seinem Geist; ein Gedanke, den er selbst sofort hasste, für den er sich verachtete. Vielleicht ist Ionnis ja tot. Es war die Art von Gedanken, die man nie wieder vergisst und derer man sich nicht entledigen kann, so sehr man es auch möchte. Der Gedanke machte ihm bewusst, wer er wirklich war: nicht der gute und edle Held aus irgendwelchen Geschichten, sondern nur Natiole, der Sohn eines bedeutenden Vaters und Bruder eines geliebten Sohnes. Und ein elender, heuchlerischer Bastard.
    »Ist da jemand oben?«, fragte der Troll. Seine Stimme klang dumpf, doch sie riss Natiole aus dem tiefdunklen Loch, in das er unversehens gestürzt war.
    »Ionnis«, flüsterte Şten. Dem Voivoden schien der Atem zu stocken. Noch nie hatte Natiole seinen Vater so fassungslos gesehen. Plötzlich sah man ihm das Alter an, all die Jahre des Krieges und der Entbehrung, die er auf sich genommen hatte. Der verehrte Anführer der Wlachaken war zu einem einfachen Mann geworden. Zu einem Vater, der um seinen Sohn fürchtete.
    Ohne einen klaren Gedanken zu fassen, stürzte Natiole nach vorn. Hektisch drängte er sich zwischen den Menschen hindurch, die im Hof umherliefen. Ihre Panik und Verwirrung berührten ihn nicht mehr, und er sprang die flachen Stufen zum Tor hinauf. Hinter ihm rief sein Vater etwas, dann setzte er sich ebenfalls in Bewegung, doch
Natiole achtete kaum darauf. Im Inneren des Gebäudes war es ruhiger, obwohl auch hier Menschen umherrannten. Aber ihre Bewegungen waren zielgerichteter. In den grimmigen Mienen sah Natiole eine Kampfeslust, die ihn an eine Schlacht denken ließ. Die meisten waren Soldaten, nur halb bekleidet, ohne Rüstungen oder Waffen, aber doch bereit, den Kampf gegen das Feuer aufzunehmen. Sie bildeten Eimerreihen wie Frontlinien, von unsichtbaren Fäden der Befehlskette gezogen. Mitten in diese Formation brach Natiole ein, durchstieß sie und lief weiter, in den kleineren Durchgang zur nächsten Treppe. Vielleicht riefen sie etwas, vielleicht ignorierten sie ihn, er konnte es nicht sagen.
    Die Luft im Treppenhaus war überraschend kühl. Ein Lufthauch zog von unten nach oben, strich sanft über Natioles Haut. Ein irrsinniger Widerspruch zu der Feuersbrunst, die oben lodern musste, wie die Rufe und das noch ferne Tosen verrieten. Jetzt roch der junge Wlachake auch das Feuer, rauchig im Hals kratzend; ein Geruch, der Wärme und Heimat, aber auch, wie jetzt, den Tod bedeuten konnte.
    Er sprang, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Einen Absatz über ihm standen drei Soldaten, zwei Männer und eine Frau. Während die Soldatin sich den Schweiß von der rußgeschwärzten Stirn strich, husteten ihre beiden Kameraden, dass es Natiole selbst die Brust zusammenzog.
    »Wie sieht es aus?«, fragte Şten, der seinem Sohn offenbar gefolgt war, gepresst. Schweiß rann dem Voivoden über das Gesicht, und sein Atem ging stoßweise.
    »Es geht nicht weiter, Vezét«, entgegnete die Soldatin bestimmt.

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