Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
haben.
Artaynis war sehr gut darin, und sie wusste es. Während sie gekonnt eine theatralische Miene aufsetzte, dachte sie: Ich habe es wirklich vermisst, so zu feilschen.
Als die Dyrierin am späten Vormittag mit ihren Einkäufen unter dem Arm wieder bei der Feste ankam, hatte sich der Burghof wieder mit der üblichen Mischung aus Handwerkern, Kriegern und Bediensteten gefüllt. Die kalte diesige Luft des frühen Morgens war verschwunden und hatte einer noch immer warmen Herbstsonne Platz gemacht.
Als Artaynis durch das innere Tor schritt, sah sie zu ihrer Überraschung Şten cal Dabrân an der Mauerbrüstung stehen, von wo aus man die Stadt überblickte. Der Voivode hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und sein Gesicht mit geschlossenen Augen der Sonne zugewandt. Er stand völlig regungslos da, so als ob ihn das Treiben um ihn her nicht weiter kümmern würde.
Die junge Frau näherte sich ihm zögerlich, da sie nicht wusste, ob sie ihn in diesem Moment stören sollte. Eigentlich sollte sie ihm von den Sylken erzählen, aber vielleicht war dies der falsche Zeitpunkt dafür? Und sie glaubte ohnehin nicht, dass er der Nachricht so viel Gewicht beimessen würde, nicht in Anbetracht all dessen, was seinen Geist bereits beschwerte.
Aber zumindest begrüßen sollte ich ihn wohl. Dann kann ich immer noch weitersehen, was ich ihm erzähle und was nicht.
»Şten?«, begann sie vorsichtig, und der Angesprochene drehte sich zu ihr herum. Seine dunklen Augen musterten sie, dann lächelte er, offen und freundlich. »Artaynis. Wie schön, Euch zu sehen.«
Seit der Nachricht vom Tod seiner Schwester hatte sie den Voivoden nicht mehr so gelöst gesehen. Die tiefen Linien in seinem Gesicht hatten sich geglättet, seine Augen glänzten, und er sah wieder wie der tatkräftige Mann aus, dem sie bei ihrer Ankunft in Teremi vor einigen Monaten zuerst begegnet war.
»Und Euch«, gab sie zurück. »Ist … etwas Besonderes vorgefallen?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
Ştens Lächeln vertiefte sich noch. »Oh ja, in der Tat«, erwiderte er. »Ionnis ist endlich aufgewacht.«
27
Ich denke, wir haben es geschafft.« Verwundert blickte Kerr Natiole an. »Was geschafft?«
»Wir werden noch heute Nacht mit dem Abstieg beginnen. Morgen früh wird die Sonne uns im Goldenen Imperium vorfinden.«
Neugierig blickte Kerr sich um, aber die Landschaft hatte sich nicht verändert. Sie waren noch immer umgeben von Felsen und Gestein, von Bergen, die weit über ihnen in den Himmel ragten und deren karge Silhouetten sich vor dem Nachthimmel abzeichneten. Es roch wie in Wlachkis, die Luft schmeckte wie in Wlachkis, und auch wenn die Dreeg schwächer waren, fühlte sich die Umgebung dennoch an wie Wlachkis. Über dem Troll war immer noch der unbegreiflich ferne Himmel mit seinen seltsamen Lichtern, es wehte ein Wind durch den Pass, der um die Felsvorsprünge heulte, und die Luft war kühl.
»Ist Dyrien wie Wlachkis?«, erkundigte er sich vorsichtig. In Sargans Erzählungen war ihr Ziel immer ein fantastisches Land gewesen, ganz anders als Wlachkis, größer, bedeutender, schöner und in allem besser. Davon sah Kerr hier nichts, und es ließ sich nicht einmal erahnen, dass Sargans Worte auch nur einen Kern von Wahrheit enthielten.
»Wie meinst du das?« Natioles Stimme war gedämpft, denn der junge Mensch hatte sich ein Stück Stoff um Hals und Kinn geschlungen, das seinen Mund bedeckte. Früher hätte Kerr nach dem Grund dafür gefragt, doch inzwischen reichte es ihm, zu wissen, dass es einen Grund gab; die
Menschen taten viele seltsame Dinge, gerade im Kleinen, und kaum etwas davon hatte sich auf Nachfrage hin als hilfreich für Trolle erwiesen.
»Das Land. Ist es wie dein Land?«
»Ich war noch nie im Imperium, geschweige denn in Dyria oder in Colchas. Es soll dort wärmer sein, die Winter sind kürzer und weit weniger kalt. Die Menschen tragen deshalb kaum Kleidung. Ionnis hat erzählt, dass die Landschaft karger ist als bei uns. Viele Felder und Gräben dazwischen, aber kaum Bäume. Anders als in Wlachkis.«
»Ist es größer?«
»Oh ja. Viel größer. Das Imperium ist gewaltig, viele Male so groß wie Wlachkis. Es dehnt sich im Osten bis zum Largischen Meer aus, im Norden bis in die Wüsten der Barbaren und im Osten weit in die Steppen, wo die Sylken und andere, seltsame Völker hausen.«
»Also groß«, meinte Kerr und stapfte weiter. Die Vorliebe der Menschen, Land zu nehmen und zu sagen, es würde ihnen gehören,
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