Der Zorn Des Skorpions
Seine Finger spannten sich um das glatte Metall des Schürhakens, seine Schultermuskeln zogen sich zusammen.
Im Inneren spürte er eine große Leere. Hervorgerufen von etwas Unbekanntem und seiner eigenen wachsenden Sorge.
Noch nie hatte er sich so machtlos gefühlt.
Aber er würde sich nicht unterkriegen lassen. Niemals. Er würde Regan finden. So oder so.
Nate wandte sich abrupt vom Schreibtisch ab, griff nach Jacke und Handschuhen und ging hinaus in die klare Nacht mit glitzernden Sternen, die wie winzige Nadelköpfe am samtschwarzen Himmel glommen. Die erste wirklich klare Nacht, seit wann? Er konnte sich nicht erinnern.
Brady Longs Tod hing irgendwie mit dem Unglücksstern-Mörder zusammen. Wenn er nur wüsste, warum Long sterben musste, dann wäre er, was die Aufdeckung der Identität des Mörders betraf, schon einen großen Schritt weitergekommen. Und Regans Rettung.
Warum Brady? Er arbeitete schon seit geraumer Zeit für den Mann, kannte ihn seit Jahren. Brady war ein nervtötender, selbstsüchtiger Privilegierter, der Menschen für seine Zwecke missbrauchte. Clementine war ein Paradebeispiel dafür, wenngleich sie ihren Chef niemals verunglimpfte.
Brady hatte Feinde in Hülle und Fülle: zwei Ex-Frauen, jede Menge abgelegte Freundinnen und unzählige Geschäftspartner, die er allesamt über den Tisch gezogen hatte. Jeder Einzelne von ihnen mochte seinen Tod gewünscht haben. Freute sich wahrscheinlich, wenn ihm die Nachricht von seinem Tod zu Ohren kam. Aber würde einer von denen wirklich zur Tat schreiten? Abdrücken und dem Mann in sein kaltes Herz schießen?
Dazu gehörte schon ein gewaltiger Hass.
Nate ging in den Stall und schaltete das Licht ein. Die Pferde schnaubten und scharrten in ihren Boxen. Er sah nach Lucifer, in dessen Augen das Weiße zu sehen war, und er beruhigte das Pferd mit einem leisen Singsang von unsinnigen Wörtern, bis das Tier näher an Santana heranrückte und nach seiner dargebotenen Hand stupste. Nate kraulte dem jungen Hengst den Kopf. Pferdeflüsterer? Vielleicht. Doch im Augenblick fühlte er sich eher wie ein ängstlicher, unbedeutender und unnützer Mensch.
»Brady hat zwei Ex-Frauen«, sagte er laut.
Lucifer schnaubte verächtlich durch die Nüstern.
»Eine war sein College-Schwarm. Eine anständige Frau. Es war wahrscheinlich ein Fehler, dass er sie abservierte, aber vielleicht hat ja sie ihn verlassen. Die zweite war eine Goldgräberin, doch damit hat sie nie hinterm Berg gehalten. Sie mochte Brady durchaus, aber sein Geld noch viel mehr. Er versorgte sie gut, als sie sich trennten, und angeblich waren alle zufrieden.«
Lucifer bewegte die Lippen, als wollte er sprechen. Nate wollten die Gefühle übermannen; er schluckte krampfhaft und verdrängte sie bis tief in seine Seele. Wenn er Regan helfen wollte, musste er einen kühlen Kopf bewahren.
»Er hat eine Reihe sitzengelassener Freundinnen. Und eine Verlobte, glaube ich, die den Handel nicht mehr rechtzeitig hat abschließen können. Brady ist tot. Sie hätte ihn wenigstens bis nach der Hochzeit wohl lieber lebend gehabt.
Aber seine Geschäftspartner …« Nate atmete tief durch. Diese Liste stand ihm nicht zur Verfügung. »Irgendwer wollte aus irgendeinem Grund seinen Tod, und er sollte leiden. Falls es der Unglücksstern-Mörder war, was haben dann die Frauen zu bedeuten? Warum lässt er sie erfrieren? Welcher Zusammenhang besteht zwischen ihnen und Brady?«
Seine Worte hallten leise durch den Stall. Lucifer schnaubte und rückte von ihm ab, als wäre ihm die letzte Frage peinlich. Widerwillig schaltete Nate das Licht aus und trat wieder hinaus in die klare, eisige Nacht.
Bradys Ex-Frauen und -Freundinnen passten ohnehin nicht ins Raster. Ein Mann hatte die Frauen umgebracht. So, wie er sie sterben, erfrieren ließ, sie gesund pflegte, um sie dann erst recht zu quälen – das war nicht das Werk einer Frau.
Regans Entführer war ein Mann. Das spürte er.
Außerdem musste er ein ungeheuer guter Schütze sein, was die Auswahl entscheidend begrenzen sollte, doch in diesem Teil von Montana waren gute Schützen dicht gesät.
Zurück im Blockhaus, hatte er das Gefühl, dass ihm die Zeit davonlief, Zeit, die Regan das Leben kosten konnte. Er zog Jacke und Handschuhe aus und ging zum Kamin. Nakita schlug erwartungsvoll die Augen auf.
»William Aldridge«, setzte Nate, an den Hund gewandt, sein Selbstgespräch fort, in der Hoffnung, dass ihm etwas einfiel, ihm etwas über die Lippen kam, was ein
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