Der Zorn Des Skorpions
Grayson wich Fragen aus und antwortete mit verschwommenen Allgemeinplätzen. Das hatte Santana gezeigt, dass sie alle ziemlich ratlos waren und sich nur selbst absichern wollten.
»Dann mal los. Tun Sie Ihre Arbeit. Ich tue meine.«
»Was soll das heißen?«, hakte sie scharf nach.
Doch Santana hatte schon angewidert aufgelegt. Sie anzurufen, war reine Zeitverschwendung. Er überlegte kurz und lief dann mit zwei Schritten an seinen Schreibtisch. Er war kein sehr ordentlicher Mensch, besaß aber immerhin ein oder zwei Aktenordner mit wichtigen Papieren. Die blätterte er rasch durch, nahm eine darin abgeheftete kleine Notiz heraus, merkte sie sich und wählte eine weitere Telefonnummer.
Wenn er seine Absicht in die Tat umsetzen wollte, brauchte er Hilfe.
Chris spielte »toter Mann«! Bianca lag auf dem Bett, schrieb wie verrückt eine SMS nach der anderen und flehte ihn geradezu an, vorbeizukommen. Ja, Dads Vorschlag, dass er hierherkommen solle, war zwar ausgesprochen öde, aber sonst war ja
nichts
los.
Absolut nichts!
Nicht mal Jeremy, dieser Loser, hatte sich dazu herabgelassen, sie anzurufen oder eine SMS zu schicken.
Aber er ist von hier entkommen, oder? Irgendwie hat er das hingekriegt.
Alle im Haus standen kurz vorm Lagerkoller, und die Anspannung war so dick aufgetragen wie Michelles Make-up. Bianca versuchte, nicht zu sehr daran zu denken, schickte lieber noch eine SMS an Chris und hoffte auf Antwort.
Er ging ihr auf die Nerven.
Wusste er, dass sie ihn gerade jetzt brauchte?
Und mit welcher Ausrede würde er ihr dieses Mal absagen? Dass er Videospiele mit Zach und Kevin spielte. Das konnte er doch jederzeit tun.
Seufzend zupfte sie einen pinkfarbenen Faden aus der Tagesdecke und sah aus dem Fenster. Der Himmel war düster, es fiel kein Schnee mehr, der Mond ging auf und tauchte Bäume und Boden in silbriges Licht. »Wir bekommen weiße Weihnachten«, hatte Michelle schon vor einer Woche prophezeit.
Na und? Sie lebten schließlich in Montana. Weiße Weihnachten gab es hier fast jedes Jahr, und das hing Bianca gewaltig zum Hals heraus.
Sie stand auf und sah nach draußen, spielte mit dem Gedanken, sich aus dem Haus zu schleichen, wusste jedoch, dass sie nicht ungestraft damit davonkommen würde. Außerdem bot sich ihr ja keinerlei Mitfahrgelegenheit.
In der Fensterscheibe sah sie ihr verwässertes Spiegelbild und dachte an ihre Mom. Wo mochte sie nur stecken?
Bianca nagte an ihrer Unterlippe und zuckte heftig zusammen, als das Telefon plötzlich klingelte. Vielleicht rief Chris auf dem Festnetz an!
Ausgeschlossen. Er hatte sie noch nie im Haus ihres Vaters angerufen.
Beim zweiten Klingeln hörte sie Michelle sagen: »Hallo? … Ja … ja, er ist hier … Moment bitte«, und dann rief sie laut: »Luke! Für dich!«
Bianca ging zur Schlafzimmertür, blieb jedoch abrupt stehen, als sie Michelle zischeln hörte: »Das Büro des Sheriffs.«
Mom!
Biancas Herz setzte einen Schlag aus.
Ihr Vater seufzte, und sie stellte sich vor, wie er sich bei laufendem Fernseher vom Sofa wälzte. Allem Anschein nach liefen Nachrichten, wenngleich es so spät war, dass höchstwahrscheinlich wohl eher der DVD -Player eingeschaltet war.
»Geht es um Regan?«, fragte er nüchtern, und Bianca wusste instinktiv, dass sie mehr erfahren würde, wenn sie das Zimmer nicht betrat und stattdessen lauschte.
»Ich weiß nicht, aber ihre Partnerin ist am Apparat«, sagte Michelle. »Sie will dich sprechen.«
»Ja, dann gib schon her«, knurrte er, aber er war nicht wütend. Er hörte sich genauso besorgt an, wie Bianca sich fühlte. Wie sie vermutete, lag ihrem Dad doch noch etwas an ihrer Mom, wenn auch nur ein bisschen.
»Irgendwas ist immer!«, sagte Michelle, und im Flurspiegel an der Badezimmertür gewann Bianca Einblick in das Wohnzimmer. Ihr Vater stand mit zerzaustem Haar, in Socken und Sweathose vor dem Fernseher und versperrte die Sicht. Michelle, in Röhrenjeans, Pullover und hochhackigen Stiefeln, stand ihm stirnrunzelnd gegenüber und verschränkte die Arme unter der Brust, so dass im V-Ausschnitt ihres flauschigen roten Pullovers noch mehr Dekolleté als sonst zu sehen war.
»Hier ist Luke Pescoli. Ja … Hi … Wie bitte? Jeremy?
Was
hat er getan?« Ihr Vater seufzte verärgert und schüttelte den Kopf. »Na prima.« Sein Rücken verriet seine Anspannung. »Ja … Okay … Hören Sie, können Sie den Jungen nicht in Ruhe lassen? … Seine Mom … Ja, wissen Sie denn Neues über Regan?«
Bianca
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