Der Zorn Des Skorpions
sah ihn lange an. »Die Mutter dieses Jungen ist verschwunden.«
»Er hat mich geschlagen«, knirschte Brewster.
»Ich habe die Videoaufzeichnung gesehen«, entgegnete Grayson.
Brewster fuhr herum und sah Selena wütend an, die, wie er wusste, veranlasst hatte, dass die Aufzeichnung dem Sheriff vorgelegt wurde.
Sie erwiderte seinen Blick eiskalt. Sollte er doch versuchen, ihr irgendeine Schuld zuzuschieben. Die Aufzeichnung erzählte die wahre Geschichte.
»Er wird entlassen«, ließ Grayson den zweiten Sheriff wissen. »Alvarez …«
»Ich erledige das.« Sie erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl.
»Der Dreckskerl hat mich zuerst geschlagen!«, behauptete Brewster mit noch mehr Nachdruck.
»Er wird entlassen, und du erhebst keine Anklage.« Grayson blieb unerschütterlich.
»O doch! Ganz gleich, wessen Sohn er ist! Und sein Einfluss auf meine Tochter gefällt mir nicht. Und das soll er wissen.«
»Ich rate dir aber, mal genauer über die Sache nachzudenken«, sagte Grayson eindringlich.
Brewster verbiss sich eine Bemerkung, und Alvarez sagte, um die Lage zu entspannen: »Nate Santana hat angerufen. Er will sich an den Ermittlungen beteiligen. Ich habe ihm nahegelegt, uns unsere Arbeit tun zu lassen, doch ich habe ihn wohl nicht umstimmen können.«
»Oh, dieser Versager«, brummte Brewster, und Selena fragte sich, ob er Santana oder Jeremy meinte. Im Grunde war es auch egal.
Auf dem Weg zum Flur musste sie Brewster aus der Tür drängen.
»Und schickt auch Hicks nach Hause«, sagte Grayson zu Brewster und Alvarez. »Ruft seinen Sohn an.«
»Ich habe Bill schon eine Nachricht hinterlassen«, sagte Brewster. »Aber der Alte wird inzwischen wohl nüchtern genug sein, um allein nach Hause zu finden.«
Grayson knurrte. »Holt beide aus der Ausnüchterungszelle, und dann konzentrieren wir uns auf wirklich Wichtiges: auf die Frage, wer der Mörder ist und wo er Pescoli gefangen hält.«
»Wollen wir die ganze Nacht hierbleiben?«, fragte Brewster.
»Geh nach Hause, wenn du willst«, antwortete Grayson.
»Ich dachte nur, wir sollten die Kosten für noch mehr Überstunden einsparen«, verteidigte er sich lahm.
Alvarez ging den Flur hinunter und wusste, dass sie vorerst nicht in ihre Wohnung zurückkehren würde. Erst, wenn der Gipfel der Erschöpfung überschritten war und sie spürte, dass sie keinen Beitrag zu Pescolis Rettung mehr leisten konnte.
Regan lag auf der Pritsche, zerschlagen und übel zugerichtet. Alles tat ihr weh, aber nicht so sehr, wie sie es vom Verstand her erwartet hätte. Vielleicht würde sie sterben. Vielleicht hatte sie sich bei dem Kampf eine innere Verletzung zugezogen, die sie langsam umbrachte.
Nein. All das wollte sie nicht glauben. Sie hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen. Sie musste Elyssa retten.
Sie öffnete in fast vollkommener Dunkelheit die Augen. Vom Feuer waren nur ein paar wenige, rot glimmende Kohlen geblieben. Sie hatte die Finger in die Wolldecke gekrallt; im Dämmerzustand und von Schmerzen gepeinigt, hatte sie die Wärme gesucht.
Sie musste die anderen Opfer retten. Unbedingt.
Sie durfte nicht zulassen, dass der Perverse siegte.
Vorsichtig hob sie die rechte Hand. Das kostete sie fast ihre letzten Energiereserven. Ihr Handgelenk war durch sämtliche Hautschichten hindurch wund gescheuert. Überall sah sie Blut. Ihr Blut. Und zweifellos auch seins.
Doch so groß die Schmerzen, so schwer ihre Verletzungen auch waren, sie durfte nicht aufgeben.
Sie biss die Zähne zusammen, rutschte zur Kante der Pritsche und betrachtete die Schweißnaht. Der Kampf mit ihrem Kerkermeister hatte seinen Tribut gefordert. Eine unverhoffte Zugabe für sie. Die Schweißnaht sah sehr mitgenommen aus. Vielleicht war sie schwach genug, um zu brechen?
Regans Herz begann, schmerzhaft zu rasen. Wenn sie alle Kraft zusammennahm, konnte sie sich vielleicht doch befreien.
Würde es ihr noch rechtzeitig gelingen, um Elyssa und die anderen retten zu können?
Wild entschlossen, mit zugekniffenen Augen und zusammengebissenen Zähnen zerrte sie mit aller Macht an der rechten Handschelle.
22. KAPITEL
J eremy sah sich mit angehaltenem Atem in dem Raum um. In zwei Tagen war Weihnachten, und er hockte hier in der Ausnüchterungszelle mit einem alten Mann, der stank wie eine Brauerei und aussah wie ein Irrer. Die Art, wie der Alte ihn durch seine dicken Brillengläser anstarrte, wenn er mal wach war, jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken.
Und die Zelle selbst war schon widerlich
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