Der Zorn Des Skorpions
ist.«
»Nein. Sie lebt in einer Anstalt.«
»Nicht mehr.«
»Aber sie ist stumm. Hat seit fünfzehn Jahren kein Wort gesprochen. Wie kann sie …?«
Chilcoate hob beide Hände. »Ich sage Ihnen, ich habe ihre Reiseroute. Sie hat ein Ticket gekauft. Ist auf dem Weg nach San Francisco.«
»Wie denn? Was hat das zu bedeuten?«
»Sagen Sie’s mir.« Chilcoate blickte ihn fest an.
»Sie glauben, sie ist an den Morden beteiligt?«, fragte Santana voller Skepsis. Die Ausrüstung in dem fensterlosen Kellerraum wirkte irgendwie surreal. Licht brannte, und alles wurde untermalt von Jimis Gitarre.
»Weiß nicht.« Chilcoate schüttelte leicht den Kopf. »Aber es ist interessant. Ich werde ihren Aufenthalt in Mountain View unter die Lupe nehmen. Bisher hat sie die Anstalt offenbar noch nie verlassen.«
»Aber sie durfte Besuch empfangen?«
»Und Anrufe.« Er langte nach seinem Schreibtisch und zog ein paar Seiten aus dem Drucker. »Das hier habe ich aus den Zeitungsdateien.« Er reichte Santana die Blätter. »Die werden mein Grundstück nicht verlassen. Hoffentlich haben Sie ein gutes Gedächtnis.«
Santana, bereits in den Artikel vertieft, brummte zustimmend. Die Story, für die Manny Douglas als Verfasser zeichnete, schilderte, wie der Unglücksstern-Mörder durch die Zusendung von vermutlichen Duplikaten der Botschaften, die die Polizei gefunden hatte, Kontakt zu Douglas aufgenommen hatte. Laut Douglas’ Artikel wollte der Mörder eine aus den Initialen der Opfer zusammengesetzte Botschaft übermitteln. Die letzte lautete:
MEID T DES SK ON Z N.
Santana betrachtete die letzte Botschaft und fügte im Geiste Pescolis Initialen in den unvollständigen Spruch ein. »Meidet des Skorpions Zorn«, flüsterte er, und ihm schwindelte, als er Ivor Hicks’ merkwürdigen Spruch wiederholte. Er starrte auf die Buchstaben, und schlagartig offenbarten sich ihm die Zusammenhänge. Er zerknüllte die Seiten in der Faust.
»Hey! Was soll das?«
»Ich habe den Spruch gerade heute erst gehört.« Seine Stimme klang tonlos. Wie tot.
»Von wem?«, wollte Chilcoate wissen.
»Vom Vater des Mörders.« In diesem Moment hätte Santana sein Leben auf diese eine Tatsache verwettet: Billy Hicks war der Unglücksstern-Mörder.
Alvarez saß noch nicht an ihrem Schreibtisch, doch Grayson wusste, dass sie schon früh ins Büro gekommen war.
Dutzende offener Fragen gingen ihm im Kopf herum, als er in den Konferenzraum schaute, wo die Temperatur, wie im gesamten Dezernat, das Thermometer zu sprengen drohte. Zoller war von Scott Earhardt abgelöst worden, einem anderen Nachwuchsdetective, der jetzt am Schreibtisch saß. Ein Fenster war einen Spaltbreit geöffnet, und trotzdem schwitzte Earhardt. Auf dem großen Tisch lagen und standen immer noch Kaugummipapiere und leere Kaffeebecher von der Konferenz herum. Bisher war die Suche ergebnislos geblieben.
Alvarez stand vor der gegenüberliegenden Wand und studierte die Karten. Ihr Blick streifte Grayson, und ihr Gesicht spannte sich an. »O Gott«, flüsterte sie und wurde blass. »Sie haben jemanden gefunden? O’Leary? Pescoli?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich habe einen Anruf von Chandler erhalten. Hubert Long ist tot. Er ist heute Morgen gestorben, und Padgett ist ausgeflogen«, sagte er.
»Was soll das heißen?«
Er erklärte ihr, dass Padgett Mountain View verlassen und ein Flugticket nach San Francisco gekauft hatte.
»Ich habe doch heute erst mit ihrer Ärztin gesprochen. Sie hat mich erwischt, als ich auf der Lazy-L-Ranch war, um Clementine und Ross zu vernehmen«, hielt Alvarez dagegen.
»Kurz nachdem Padgett von Bradys Tod erfahren hatte, ist sie gegangen.«
»Ist sie gegangen …« Alvarez schniefte und schüttelte den Kopf. »Ich versteh das nicht. Glaubst du, sie hat ihre Geisteskrankheit nur vorgetäuscht?«
»Klingt nicht sehr wahrscheinlich.«
»Eher schon unvorstellbar.«
»Ich weiß.« Er war ganz ihrer Meinung. Dachte genauso. »Fünfzehn Jahre sind eine unendlich lange Zeit.«
»Du glaubst doch nicht, sie hätte – etwas mit dem Mord an ihrem Bruder zu tun?«
»Wie sollte sie?«, fragte Grayson, und sie sahen einander an.
»Tja, dann … warum hat sie dann so lange gewartet? Wenn sie einen Auftragskiller kannte, warum hat sie ihn dann nicht gleich angeheuert, als sie in die Anstalt kam?«
»Vielleicht kannte sie da noch keinen. Vielleicht hat sie ihn dort kennengelernt, und er ist irgendwie hier gelandet … Ach, ich weiß
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