Der Zorn Des Skorpions
sogar deine Pistole hier irgendwo liegenlassen hat.
Pescoli spähte in die Dunkelheit, entdeckte aber nichts, was ihr hätte helfen können.
Sie fand allerdings eine Art Bettdecke, wohl von der Army, die tiefer nach unten gerutscht war. Mit einiger Mühe griff sie danach und zerrte, zog sich die kratzige Wolldecke bis unters Kinn und bemerkte erst jetzt, dass ihr vor Kälte die Zähne klapperten. Doch sonst fand sie nichts. Nicht mal ein Glas Wasser. Nichts außer der Pritsche, soweit sie sich orientieren konnte. Aber jemand hatte sie hierhergebracht. Dieser Jemand könnte hinter der Tür lauern.
Schon wollte sie rufen, besann sich jedoch eines Besseren.
Denk nach, Regan, denk nach!
Sie schloss ganz fest die Augen und konzentrierte sich, schloss die Schmerzen aus und die Erinnerungen, die in den dunklen Winkeln ihres Bewusstseins hockten. Sie war im Auto unterwegs gewesen … Ja. Besessen von dem Wunsch, ihren Ex-Mann, diesen Loser, aufzusuchen. Er hatte ihre Kinder und Cisco, ihren Hund … Oder? Es war kurz vor Weihnachten, und sie hatte gekocht vor Wut … auf der Fahrt zum Haus ihres bescheuerten Ex-Manns. Und dann?
Sie erinnerte sich nicht.
Wieder schloss sie die Augen und versuchte angestrengt, irgendeine Erinnerung heraufzubeschwören, egal, welche … War da ein Büchsenknall? Laut. Mit Widerhall. Ein Echo in der vereisten Schlucht?
O Gott … Ihr Wagen … Er schleuderte unkontrollierbar, Metall knirschte, die Frontscheibe zersplitterte … Noch einmal durchlebte sie diese entsetzlichen Sekunden, als ihr Jeep in den steilen Abgrund stürzte, sich überschlug und hinunter in die dunkle Schlucht raste.
Regan schauderte, verbiss sich das Rufen. Sie konzentrierte sich auf die Erinnerungen. Das verbeulte Metall, der Hagel von Glassplittern, der Airbag, der Schnee, der vom Himmel fiel, und Blut … Ihre Hände waren blutverschmiert gewesen, sie hatte Schnittwunden im Gesicht, sie hatte mit gezogener Waffe gewartet, eingeklemmt in ihrem schrottreifen Jeep.
Und dann … und dann … Und dann was?
Sie kniff die Augen fest zusammen und versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie es dazu gekommen war, dass sie nun nackt und zerschunden in diesem dunklen Raum auf einer Pritsche lag. Die Erinnerungen klopften zaghaft an, und dann hörte sie es, ein Geräusch auf der anderen Seite der Tür.
Ihr Herz machte einen Satz, und sie erstickte einen Schrei, als sie das Geräusch identifizierte: das Scharren eines Stuhls über den Boden. Holz auf Stein. Dann hörte sie gedämpfte schwere Schritte, wie von nackten Füßen auf Steinboden. Sie konnte kaum atmen. Jemand kam.
Einen Augenblick lang empfand sie Erleichterung, doch dann überkam sie ein dunkleres Gefühl. Angst breitete sich aus. Ihr Instinkt sagte ihr, dass die Person hinter den dicken Eichenbohlen der Tür keineswegs ihr Retter war.
Zwar wusste sie nicht, warum, entsann sich nicht des Grunds für ihr Misstrauen, doch sie wusste instinktiv, dass sie dem Menschen, der sie hierhergebracht hatte, auf keinen Fall Vertrauen schenken durfte.
Er ist nicht dein Retter, er ist dein Gefangenenwärter.
Pescoli schluckte ihre Angst hinunter und dachte angestrengt nach. Sie glaubte, dass derjenige, der sie hergebracht hatte, wie besessen in entsetzlich böser Absicht handelte.
Sie wappnete sich. Und wartete.
Doch die Schritte gingen an der Tür vorüber. Zunächst einmal wurde ihr also ein Aufschub gewährt. Doch sie ahnte, dass es nicht mehr lange dauern würde. Und dann, in einer Sekunde grellen Begreifens, erinnerte sie sich.
An alles.
Eine eisige Hand griff nach ihrem Herzen. Sie starrte auf die Tür, als könnte ihr Blick ein Loch in das Eichenholz der alten, zerkratzten Tür brennen, hinter der der perverse Unglücksstern-Mörder wartete.
»Hast du sie erreicht?«, fragte der Sheriff, als er an Alvarez’ Arbeitsplatz vorbeikam. Grayson trug Schaffelljacke, Stiefel und Handschuhe und befand sich auf dem Weg nach draußen. Sein schwarzer Labrador Sturgis folgte ihm auf den Fersen. Den zerbeulten Stetson in der Hand, blieb Grayson vor Alvarez’ Schreibtisch stehen.
»Noch nicht.«
»Das ist nicht gut.« Er verzog den Mund, und in seinen Augen stand die Sorge. Alvarez vermutete, dass er früher einmal als groß, geheimnisvoll und attraktiv gegolten haben mochte. Und das lag wohl noch nicht sehr lange zurück. Doch neuerdings, seit der Winter tobte und das Land lahmlegte und ein Serienmörder in seinem, Graysons, Zuständigkeitsbereich
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