Der Zorn Des Skorpions
trug immer und überall Pfennigabsätze und kurze enge Kleider mit adretten kleinen Jäckchen. Ihr platinblondes Haar war zu einer Art Bienenkorb nach der Mode der Fünfziger aufgesteckt und immer tipptopp frisiert.
Es war ein sonderbarer Look, unzeitgemäß, doch Joelle zog ihn gnadenlos durch.
Heute ganz in Rot, plapperte sie von einer Weihnachtsfeier, als wäre der Horror der letzten paar Monate das Letzte, worüber sie sich Gedanken machte.
»Corts Frau hat versprochen, ihre preisgekrönten Kronjuwel-Plätzchen beizusteuern. Auf dem Gemeindebasar haben sie den zweiten Preis gewonnen, weißt du, und nur, weil Pearl Hennessy ihre Ingwerkekse ins Rennen gebracht hat, die mit dem leichten Orangenaroma. Tja, ich frage euch: Wer könnte die schlagen?«
Alvarez wollte es wirklich nicht wissen. Je weniger sie über die Familie des zweiten Sheriffs Cort Brewster wusste, desto besser. Alvarez mochte den Mann nicht sonderlich, obwohl sie keinen Grund dafür hätte angeben können. Brewster war der überkorrekte Typ, arbeitete schon seit Jahren im Dezernat und war seit fast einem halben Jahrhundert mit derselben Frau verheiratet. Er war seinen vier Kindern ein hingebungsvoller Vater und Diakon in der kommunalen Methodistenkirche und so weiter, aber er hatte etwas an sich, was Alvarez nervös machte, etwas, was ihr nicht ehrlich vorkam.
Das liegt daran, dass du von Natur aus misstrauisch bist, schon seit deiner frühen Pubertät, und du weißt, warum, nicht wahr? Dein kleines Geheimnis, das du dich nicht preiszugeben traust.
Ohne die boshafte innere Stimme zu beachten, entschied sie, dass es schon in Ordnung war, Brewster nicht zu mögen. Erst kürzlich war es zu einem Zwischenfall gekommen, der Alvarez in ihrer Meinung über den zweiten Sheriff bestärkte: Pescolis Sohn Jeremy wurde bei einem Date mit Heidi Brewster erwischt, Corts unberechenbarer fünfzehnjähriger Tochter. Die Kids waren minderjährig und wurden wegen Alkoholgenusses hochgenommen, und Brewsters innere Anspannung war unübersehbar gewesen.
Frohe Weihnachten.
Joelles Geplapper stieß beim Sheriff auf taube Ohren.
»Schön, schön, wie du meinst«, knurrte Grayson. Sein Handy klingelte, und er nahm das Gespräch an.
Alvarez entzog sich der Weihnachtsplätzchen-Diskussion, bevor Joelle sie ins Visier nehmen konnte. Sie stopfte ihren Schal in den Jackenausschnitt und ging nach draußen, wo der Wind heulte und die Luft zu knistern schien. Unter dem Fahnenmast, an dem das Sternenbanner in der steifen Brise knarrte und flatterte, streifte sie die Handschuhe über.
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie einen Übertragungswagen, den letzten noch verbliebenen, auf der anderen Straßenseite. Der Fahrer hielt einen Becher Kaffee zwischen beiden Händen, der so heiß war, dass seine Frontscheibe beschlug. Der Großteil der übrigen Presseleute hatte sich aus dem Staub gemacht und jagte der Story in Spokane hinterher. Bis auf diesen einsamen Reporter, einen Unentwegten, der immer noch vor dem Büro des Sheriffs die Stellung hielt. Ein orangefarbener Schrägstrich und die Buchstaben KBTR zierten die Seite des schmutzig weißen Bullys.
Alvarez mied den KBTR -Bus wie die Pest. Sie schlug sich selten mit der Presse herum, und das war ihr ganz recht so. Es war besser für sie, ihr Privatleben unter Verschluss zu halten. Auf dem Weg zum Jeep knirschte der Schnee unter ihren Stiefeln. Als sie drei Zentimeter Schnee und eine Eisschicht von der Frontscheibe kratzte, sah sie Ivor Hicks’ Lieferwagen die Straße hinauftuckern.
Toll,
dachte sie und musterte Hicks’ tief über das Steuer seines ächzenden Wagens gebeugte Gestalt. Er hatte sich eine Jägermütze mit orangefarbenen Ohrenklappen weit ins Gesicht gezogen, und seine starken Brillengläser ließen seine Augen aufs Doppelte vergrößert erscheinen.
Wie eine Eule.
Noch so ein Spinner. Neben ihm wirkte Grace Perchant, die Geisterbeschwörerin von Pinewood County, nahezu normal.
Ivor hielt am Straßenrand und stieg aus. Seine schweren Stiefel versanken im Schnee, den die Räumfahrzeuge auf dem Gehsteig aufgetürmt hatten. »Ist der Sheriff da?«, fragte er. Seine Brillengläser beschlugen.
»Ich glaube, er geht gerade.«
»Vielleicht erwische ich ihn noch …« Mit schmerzverzerrtem Gesicht und arthrosebedingten ruckartigen Bewegungen stapfte er auf das Gebäude zu. Alvarez war froh, ihn von hinten zu sehen, bevor er wieder über Entführungen durch Aliens und dergleichen zu schwafeln begann, sein Lieblingsthema
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