Der Zorn Des Skorpions
der kleinen Küche ihrer Atelierwohnung hatte Alvarez nichts dergleichen vorrätig.
Orange Pekoe musste reichen. »Zitrusfrucht ist Zitrusfrucht«, sagte sie sich, blies in ihren Becher und kostete vorsichtig von dem heißen Tee. Er verbrühte ihr beinahe die Zunge, linderte jedoch tatsächlich die Halsschmerzen.
Ihr Handy klingelte. Der Ton klang gedämpft, weil ihre Ohren noch immer wie verstopft waren. Sie kramte das Handy aus ihrer Tasche und klappte es auf. »Alvarez.«
»Sie ist nicht unser Mörder.« Sheriff Graysons Stimme klang empört. »Nichts passt zusammen. Eine Trittbrettfahrerin, wie es aussieht, aber woher sie genug über die Verbrechen wusste, um versuchen zu können, Jillian Rivers auf beinahe identische Art umzubringen, das wissen wir noch nicht.« Er stieß einen tiefen, verärgerten Seufzer aus. »Ich hatte tatsächlich gehofft, sie wäre die Gesuchte und wir könnten die Akte zuklappen, aber das soll wohl nicht sein.«
Das überraschte Alvarez nicht. Am Vorabend hatte sie stundenlang Daten, Schauplätze und Aufenthaltsorte der Verdächtigen überprüft, bevor sie endlich zu Bett ging. Nichts passte. Die Verhaftete konnte die Morde an Theresa Kelper, Nina Salvadore, Mandy Ito, Diane Zander und Donna Estes nicht begangen haben.
Zudem war Alvarez sicher, dass der Gesuchte ein Mann sein musste. Ein kräftiger Mann, stark genug, um Frauen aus verschneiten Schluchten zu tragen, klug genug, sie ohne Entdeckungsgefahr zu verstecken, ein Scharfschütze mit unglaublicher Treffsicherheit: wahrscheinlich unter sechzig, kräftig, athletisch.
Und dann noch der Umstand, dass ihre Partnerin verschwunden war.
Sie fröstelte, während Grayson sagte: »Wäre zu schön gewesen, den Hund hinter Gitter zu bringen.«
»Das werden wir tun.«
»Hast du von Pescoli gehört? Brewster sagt, sie haben ihren Wagen gefunden.«
»Nein.«
»Mist.«
Das Gleiche dachte Alvarez.
»Findet sie.«
»Machen wir.«
»Herrgott, was für ein Schlamassel.«
»Wir kriegen diesen Kerl, und wir kriegen Pescoli lebend zurück«, sagte sie, hörte ihren überzeugten Tonfall und fragte sich, ob sie log.
»Himmel, das hoffe ich.« Er räusperte sich. »Hör zu, ich bin auf dem Rückweg. Chandler und Halden bleiben noch ein bisschen länger, bringen die Ermittlungen zusammen mit der Polizei von Spokane zum Abschluss und suchen nach Hinweisen darauf, woher die Verdächtige so gut über die anderen Morde informiert war. Wir sehen uns im Büro, und dann rufen wir das Einsatzkommando zu einer Konferenz zusammen. Ich will alles, was die Forensiker in Pescolis Wagen und in ihrer Wohnung gefunden haben. Besorg einen Durchsuchungsbefehl, sprich mit ihren Kindern und … Ach, zum Teufel, du weißt schon, was du zu tun hast.«
»Bin schon dabei.«
»Schön. Bis später.«
Sie legte auf, trank ihren abgekühlten Tee aus und trat nach draußen, wo die Sonne über den Bergen im Osten aufging und der morgendliche Verkehr in diesem Stadtteil einsetzte.
Pescoli war nun schon zwei Nächte verschwunden.
7. KAPITEL
D iese Schlampe hat eine Lektion verdient!
Ich fahre mir mit den Fingern durchs Haar und versuche, mich zu beruhigen, aber meine Hände zittern, und meine Muskeln schmerzen, sind verspannt, während ich vor dem Feuer auf und ab gehe.
Nur ihretwegen.
Lass dich von ihr nicht verunsichern. Du hast hier alles unter Kontrolle, nicht wahr? Du hast das Sagen. Sie ist verletzt. Gefesselt. Hinter Schloss und Riegel. Du hast das Kommando.
Du.
Nicht diese elende Witzfigur von Polizistin, die nicht weiß, was sich gehört. Verlier jetzt nicht die Nerven, nicht, nachdem du schon so weit gekommen bist, das Ziel schon vor Augen hast.
Nicht, wenn du so viel zu tun hast.
Nicht nur hier, mit diesen Frauen, auch mit
ihm
. Er wird bald hier ankommen. Du musst dich beruhigen. Du musst bereit sein. Du darfst dein Ziel um nichts verfehlen. Dieser Schuss muss sitzen.
Ich schließe die Augen. Zähle bis zehn. Dann bis zwanzig. Ich spüre, wie sich die Verspannungen in meinen Schultern ein wenig lösen, und ich horche auf den Sturm, das Kreischen des Windes, das Prasseln des Schneeregens, aber da ist nichts. Außer dem Knistern des Feuers nichts als Stille. Friede.
Und doch, trotz all meiner Selbstmotivation und der Stille des Wintertags kann ich nichts weiter tun, als durchzuhalten, meiner Natur ihren Lauf zu lassen und mich auf das größere Bild, das übergeordnete Wohl zu konzentrieren.
Meine Arbeit ist zu wichtig, um mir den Luxus zu
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