Der Zorn Des Skorpions
sich einen steifen Drink ein. Drei Fingerbreit Bourbon. On the Rocks, wieder einmal dank Clementine, die einen gefüllten Eiskübel auf dem Tresen bereitgestellt hatte. Die Eiswürfel klimperten leise, als er mit dem Drink zum Schreibtisch ging. Er griff unter die Platte, drückte eine verborgene Taste und wartete, bis eine mit einem schütteren Zebrafell dekorierte Wand zur Seite glitt und eine Reihe von Vitrinenschränken freigab. Flankiert von einem Arsenal von Flinten, Gewehren, Bogen und Pistolen, befand sich dort ein Safe, in dem er, wie er hoffte, das letzte Testament seines Vaters finden würde.
Er hätte vermutlich einfach den Anwalt seines Vaters, Bart Tinneman, um eine Kopie bitten können, doch ehrlich gesagt traute er Tinneman genauso wenig wie den Freunden seines Vaters, von denen die meisten bereits nicht mehr lebten. Und noch viel weniger vertraute er den Mitgliedern des elenden Aufsichtsrats.
Der Safe war mit einem altmodischen Zahlenschloss ausgestattet. Keine Elektronik oder sonstiger Schnickschnack. Brady hatte sich die Zahlen als Fünfjähriger eingeprägt und nie verraten, dass er sie kannte. Na ja, auch seine Schwester kannte die geheime Kombination, doch dort, wo sie jetzt war, eingesperrt in einem Sanatorium, kaum lebenstüchtig, nützte es ihr nicht viel, oder? Ihr Zustand verursachte ihm leichte Schuldgefühle, doch er schüttelte sie ab. Padgett war ihr halbes Leben unfähig gewesen, für sich selbst einzustehen, seit beinahe fünfzehn Jahren, und davor war sie eine ausgemachte Schlampe gewesen, daher machte er sich nur selten Gedanken darüber, wie sie in der Anstalt gelandet und welche Rolle er dabei gespielt hatte.
Das war Schnee von gestern. Er hörte das leise Klicken der uralten Eisenteile, als er das Einstellrad drehte.
»Tut mir leid, Dad«, sagte er laut bei der letzten Drehung. Das Einstellrad stoppte an der exakt richtigen Stelle, das Schloss gab nach. Mit einem zufriedenen Lächeln stellte Brady seinen Drink ab und öffnete die Safetür.
Er war überzeugt, das Testament zu finden. Und wenn er es in den Händen hielt, brauchte er nur noch ein paar Stunden, vielleicht auch Tage, zu warten, bis der Alte starb.
8. KAPITEL
D ie Medien waren wieder da. Mit aller Macht.
Voller Wut waren sie wieder in Grizzly Falls eingefallen, als hätte das Büro des Sheriffs sie absichtlich mit dem, was alle nur ungern zugaben, aber jetzt wussten, hinters Licht geführt. Die Verhaftete war eine Trittbrettfahrerin.
Der wahre Frauenmörder war immer noch auf freiem Fuß, hier in Montana.
Alvarez bog auf den Parkplatz der Dienststelle ein und sah auf der Straße Lieferwagen von zwei Fernsehsendern aus Missoula und einen weiteren mit einem anderen Logo, das sie nicht kannte.
Großartig,
dachte sie und zog den Zündschlüssel ab.
Der Medienrummel geht wieder los.
Sie schaffte es, ihren Jeep abzuschließen und ins Gebäude zu gelangen, ohne von Reportern aufgehalten zu werden. Aufatmend schälte sie sich aus ihrer Jacke und warf sie über die Lehne ihres Schreibtischstuhls, ging dann in die Küche, erhitzte Wasser in der Mikrowelle und fand einen letzten Teebeutel: Kamille. Koffeinfrei und geschmacksneutral. Kein Wachmacher. Mit einem Wort: nutzlos.
»Oh, tut mir leid!«, sagte Joelle, die mit einer vollgestopften Einkaufstasche hereinfegte. In ihrem langen roten Mantel, schwarzen Stiefeln und weißem Schal sah sie aus wie eine weibliche Ausgabe des Weihnachtsmanns. In einer Wolke von Parfüm und Korrektheit huschte sie geschäftig durch die Küche. »Ich dachte, ich wäre hier, bevor die Frühschicht eintrifft«, sagte sie. Ihre Stiefelabsätze klickten auf dem Boden. »Aber ich habe mich wohl geirrt.« Indem sie Alvarez mit einem mütterlich-gereizten Blick durchbohrte, räumte sie eilig Milch und Sahne in den Kühlschrank, zwängte Filterpäckchen und Süßstoffbehälter in eine Schublade und fand schließlich eine Packung mit einem Teesortiment. »Immer noch erkältet?«
Alvarez schüttelte den Kopf. Unterdrückte ein Schniefen. Hatte keine Lust, sich auf Joelle einzulassen. Das Letzte, was sie brauchte, war, sich von ihr bemuttern lassen zu müssen. »Alles in Ordnung.«
Der Blick, mit dem Joelle Alvarez bedachte, besagte, dass sie aussah wie der Tod auf Socken. »Warst du beim Arzt?«
Alvarez antwortete nicht, öffnete nur die Teepackung und entnahm ihr einen Beutel Earl Grey.
»Das dachte ich mir … ach … hier …« Joelle griff ein letztes Mal in die Einkaufstasche und
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