Der Zorn Gottes
bisher muß ich schließen,
daß nichts auf Sir Thomas' Tisch vergiftet ist.«
Athelstan war ratlos. Er war
sicher, daß niemand etwas angerührt hatte, nachdem Fitzroy
zusammengebrochen war. Er und Cranston waren als erste bei dem Liegenden
gewesen, und schon, als Fitzroy aufgesprungen war und sich an den Hals
gegriffen hatte, hatte Athelstan die Männer rechts und links von ihm
aufmerksam beobachtet. Weder Goodman noch Denny hatten Anstalten gemacht,
etwas auf dem Tisch wegzunehmen oder auszutauschen. Sir John hatte die
Tasche des Toten sorgfältig durchsucht, ohne aber etwas zu finden,
was Fitzroys plötzlichen Tod durch Gift erklärt hätte.
Die Atmosphäre im Saal
hatte sich spürbar verändert. Die Leute nahmen Abstand
voneinander, als ihnen die volle Bedeutung der Ereignisse klar wurde.
Sudbury sprach für sie alle.
»Mylord Gaunt«,
begann er in empörtem Ton, »wir haben diesen Tag so
freundschaftlich begonnen, aber binnen weniger Stunden sind zwei aus
unserer Mitte tot, gemein hingemordet.«
»Was wollt Ihr damit
sagen?« fauchte Clifford. »Die Schuld an diesen Todesfällen
kann man doch nicht dem Regenten in die Schuhe schieben.«
»Ich beschreibe nur,
was geschehen ist«, versetzte der Gildemeister geschmeidig.
»Euer Gnaden.«
Entschlossen, die Situation in den Griff zu bekommen, wandte Gaunt sich an
seinen Neffen. »Euer Gnaden«, wiederholte er, »Ihr
solltet Euch zur Ruhe begeben. Sir Nicholas!« Er funkelte den königlichen
Hauslehrer an.
»Wir gehen jetzt«,
erklärte Richard. »Aber, liebster Onkel, im Rathaus wurden zwei
Morde begangen. Jemand muß dafür zur Rechenschaft gezogen
werden.« Der junge König machte auf dem Absatz kehrt und verließ
den Rosensaal, gefolgt von Hussey und dem Arzt.
Gaunt wartete, bis sie
gegangen waren. »Räumt den Saal!« befahl er dann dem
Offizier.
»Sir«, warf der
Truchseß ein, »das Bankett ist noch nicht zu Ende. Soll ich
den Nachtisch auftragen lassen?«
Gaunts wütender Blick
beantwortete seine Frage, und der Truchseß und die übrigen
Bediensteten eilten hinaus. Leise befahl Clifford den Bogenschützen
und Soldaten, ebenfalls zu verschwinden. Kaum hatte er die Tür hinter
ihnen geschlossen, als ein lautes Klopfen sie ihn wieder öffnen ließ.
Athelstan sah draußen einen livrierten Diener, der ein paar Worte
murmelte und Clifford ein Pergament in die Hand drückte. Clifford
schloß die Tür wieder, trat in die Mitte des Raumes und las,
was auf dem Pergament stand; dann reichte er es dem Regenten. Gaunt
studierte es, und Wut loderte in seinem Gesicht.
»Setzen!« befahl
er. »Ich habe Neuigkeiten für Euch!«
Alle gehorchten, auch
Cranston und Athelstan. Gaunt nahm auf dem Stuhl des Königs Platz und
hielt das Stück Pergament vor sich. Sie warteten, bis vier Bogenschützen
auf Cliffords Befehl hereingekommen waren, Fitzroys Leiche ohne große
Umstände in ein Leintuch gewickelt und so sorgfältig wie einen
Haufen Müll hinausgeschleppt hatten. Gaunt schaute in die Runde der
stummen, aufmerksamen Gäste.
»Ich habe hier eine
Proklamation!« Seine Stimme wurde zu einem Brüllen. »Von
dem verbrecherischen Verräter, der sich Ira Dei nennt!« Er warf
Clifford das Pergament zu.
Der Edelmann strich es glatt.
»›Sir Thomas Fitzroy‹«, las er dann vor, »›Hingerichtet
für Verbrechen wider das Volk. Gezeichnet, Ira Dei.‹« Er
blickte auf, und Athelstand spürte die Angst bei allen Gästen
Gaunts. Sogar Cranston, der nicht so leicht einzuschüchtern war,
senkte den Kopf.
»Was ist das?«
murmelte Goodman. »Wer ist dieser Übeltäter, der die Größten
der Stadt niederstrecken kann?«
»Ich weiß es
nicht«, sagte Athelstan und versuchte, die Atmosphäre der Angst
zu vertreiben. »Aber jetzt stehen drei Dinge fest. Erstens: Fitzroy
wurde ermordet. Zweitens: Der Mord wurde von dem Mann begangen, der sich
Ira Dei nennt - oder in seinem Auftrag.« Er schwieg und warf
Cranston einen Seitenblick zu.
»Und drittens?«
fragte Gaunt.
»Euer Gnaden, es liegt
auf der Hand. Fitzroys Tod ist noch nicht bekanntgegeben worden. Diese
Proklamation, die an die Rathaustür angenagelt war, beweist: Entweder
befindet sich Ira Dei in diesem Raum und hat den Brief von einem seiner
Schergen anbringen lassen, oder einer seiner Leute ist unter uns, und
dieser ›Zorn Gottes‹, wie er sich nennt, hat das Pergament
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