Der Zorn Gottes
versah.
Cranston sah ihn verwundert
an. »Aber du bist doch hier zu Hause, Bruder.«
Athelstan lächelte und
schüttelte seine Gedanken ab. »Aye, Sir John, aber wir müssen
noch einen Schlosser besuchen. Sagt, warum hat Euch Sturmeys Name
nachdenklich gemacht?«
Cranston bekreuzigte sich und
nahm noch drei Schluck aus seinem Weinschlauch; dann verstopfte er ihn
wieder, hakte sich bei Athelstan unter und führte ihn in die Poultry
hinauf.
»Ich weiß es
nicht«, knurrte er. »Aber der Name läßt ein Glöckchen
läuten. Das braucht seine Zeit, Bruder.«
Athelstan hielt sich die Nase
zu, denn in diesem Teil der Cheapside stank es immer nach totem Geflügel.
Er versuchte, nicht auf die Ratten zu achten, die zwischen den
Jauchegruben in der Mitte der Straße hin und her huschten und nach
saftigen Bissen stöberten, nach Innereien und den abgeschlagenen Köpfen
von Hühnern, Wachteln, Rebhühnern und Regenpfeifern. Zwei weiße
Federn schwebten zur Erde, und Athelstan mußte an Engel denken.
»Engel gibt es hier
nicht«, murmelte er.
»Da hast du verdammt
recht!« bekräftigte Cranston.
Sie fuhren zusammen und
sprangen beiseite, als plötzlich zwei alte Frauen mit einem
Schubkarren um die Ecke kamen; auf dem Karren lag
der Leichnam einer alten Vettel. Athelstan machte ein Kreuzzeichen in die
Luft. Eines der beiden alten Weiber drehte sich um und kicherte.
»Hin ist sie«, krähte
sie. »An der Ruhr gestorben, und jetzt ab in die Kalkgruben mit ihr.«
»Ich wünschte, ich
könnte dem ein Ende machen«, bemerkte Cranston. »Sie
werden die Tote irgendwo auf eine Kirchentreppe legen.«
Der Karren rumpelte davon,
und die beiden gingen weiter in Richtung Mercery. Zwei Huren standen an
der Ecke einer Gasse; ihre safrangelben Kleider und roten Perücken
leuchteten wie Signalfeuer in der Finsternis.
»Holla, ihr Damen!«
rief Cranston. »Ihr kennt das Gesetz?«
»Welches Gesetz?«
erwiderte die größere der beiden. »Wir beten hier nur.«
»Das ist Cranston!«
zischte die kleinere, und die beiden Damen der Nacht flüchteten wie
Glühwürmchen durch die düstere Gasse.
Athelstan und Cranston bogen
in die Lawrence Lane ein, die wie ein dunkler Tunnel wirkte, weil die Häuser
zu beiden Seiten so gebaut waren, daß man in den obersten
Stockwerken mühelos ans Fenster gegenüber klopfen konnte.
»Gib acht, wo du
hintrittst!« warnte Cranston.
Athelstan blickte zu Boden
und sah, daß die Gosse in der Straßenmitte übergelaufen
war und das Kopfsteinpflaster mit stinkendem Dreck überzogen hatte.
Es roch nach Schwefel, den irgendein braver Bürger ausgeschüttet
haben mußte, um den Gestank zu bekämpfen. Dunkle Gestalten lösten
sich aus den Hauseingängen. Cranston schlug seinen Mantel über
die Schulter nach hinten und zog seinen
langen walisischen Spitzdolch.
»Guten Abend, ihr Böckchen!
Ich bin John Cranston, der Coroner.«
Die unheimlichen Schatten
verschwanden.
Sie gingen weiter; Cranston
blieb hier und da stehen, um zu den Ladenschildern hinaufzuschauen, die
über ihnen an Stangen hingen. Kurz bevor die Lawrence Lane in die
Catte Street mündete, blieb er stehen und deutete auf eine Tafel, die
an rostigen Ketten knarrte. Darauf stand »Peter Sturmey, Schlosser«.
Cranston trat zurück und blickte nach oben. Er sah Kerzenschein in
einem der oberen Stockwerke, und so hämmerte er an die Tür.
»Verpißt euch!«
schrie jemand von der anderen Straßenseite.
Athelstan und Cranston
sprangen schnell beiseite, als der stinkende Inhalt eines Nachttopfes
geflogen kam.
»Hau ab!« brüllte
Cranston zurück. »Ich bin Beamter der Justiz!«
»Von mir aus kannst du
der König selbst sein!« erwiderte die Stimme, aber man hörte,
wie das Fenster zugeschlagen wurde, und Cranston hämmerte weiter an
die Tür.
Endlich wurde seine Hartnäckigkeit
belohnt. Sie hörten Schritte, die mit einer Kette gesicherte Tür
wurde einen Spaltbreit geöffnet, und das blasse Gesicht einer Magd
erschien gespenstisch im Kerzenschein.
»Wer ist da?«
fragte sie. »Was gibt es? Habt Ihr Nachricht von meinem Herrn?«
»Mach auf«, sagte
Cranston. »Sei ein braves Mädchen. Ich bin der Coroner der
Stadt, und dies ist Bruder Athelstan. Wir haben mit deinem Herrn zu reden.«
Die Kette wurde gelöst,
und die in einen Mantel gewickelte Magd trat zurück, um sie
einzulassen. Der Kerzenschein im Hausflur ließ
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