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Der Zorn Gottes

Der Zorn Gottes

Titel: Der Zorn Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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tanzende, flackernde
     Schattengestalten zum Leben erwachen.
    »Ich will zu deinem
     Herrn«, wiederholte Cranston sanft.
    »Sir, er ist nicht
     hier. Er ist heute nachmittag fortgegangen und nicht zurückgekommen.«
    Athelstan schloß die
     Augen. »Oh Gott«, flüsterte er.
    »Was ist denn?«
    Ein zerzauster Junge mit
     schlaftrunkenem Blick und dem Antlitz eines Engels kam plötzlich aus
     einer Kammer in den Flur; in der Hand hielt er eine Laterne, die fast so
     groß war wie sein Kopf.
    »Und wer bist du, Sir?«
     fragte ihn Cranston.
    »Perrot«, sagte
     der Junge. »Master Sturmeys Lehrjunge.«
    Er kam näher. Athelstan
     schätzte ihn auf dreizehn oder vierzehn Sommer, und wieder fühlte
     er sich an einen Engel erinnert, den Huddle in St. Erconwald an die Wand
     gemalt hatte.       
    »Der Meister ist fort«,
     sagte der Junge ungerührt. »Er ist kurz nach Mittag weg und
     nicht zurückgekommen.«
    »Und die Herrin des
     Hauses?«
    »Die ist auch fort und
     kommt nicht wieder.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil sie vor fünf
     Jahren gestorben ist.«
    Athelstan grinste und zog
     einen Penny aus seiner Börse. Er ließ ihn durch die Luft
     wirbeln, und der Junge fing ihn geschickt auf.
    »Und Sturmeys Sohn?«
    »Der ist auch nicht da«,
     sagten Magd und Lehrling im Chor. »Er ist in York. In
     wichtigen Geschäften des Königs.«
    Cranston nickte, als er die
     beiden feierlichen Mienen sah.
    »Hört mal«,
     sagte er, »wir können das nicht hier erörtern. Junge, schläfst
     du in der Werkstatt?«
    »Aye.«
    »Dann laß uns da
     hineingehen.«
    Der Junge blinzelte und
     schaute die Magd an; diese nickte.
    »Dann kommt«,
     sagte Perrot. »Aber Ihr dürft nichts anfassen, sonst verprügelt
     mich der Meister.«
    Er führte sie in einen
     Raum, der am Gang lag, zündete ein paar Kerzen an und zog zwei
     Schemel für seine unerwarteten Besucher heran. Athelstan nahm Platz
     und schaute sich um. Noch nie hatte er so viele Schlüssel gesehen.
     Sie hingen bündelweise an der Wand, dazu Metallstücke, Gußformen
     und Zangen. An der Wand sah er eine kleine Schmiedeesse. Es roch nach
     verbranntem Holz und Holzkohle, und alles war von feinem Staub bedeckt. Er
     schaute unter einen Tisch und sah das Bett des Lehrlings: eine
     Strohmatratze, ein Kissen, eine Wolldecke und einen ziemlich mitgenommenen
     hölzernen Reitersmann, vielleicht das Lieblingsspielzeug des Jungen.
    »Möchtet Ihr Wein?«
     fragte die Magd und bemühte sich, älter zu erscheinen, als sie
     war.
    »Nein, nein.«
     Athelstan lächelte. »Sir John rührt niemals Wein an -
     nicht wahr, Mylord Coroner?«
    »Nein«,
     antwortete Cranston barsch und schaute Athelstan mit schmalen Augen an.
     Dann richtete er sich auf. »Ich gebe ein gutes Beispiel.«
    Der Junge musterte den
     riesenhaften Coroner unter gesenkten Lidern und schien nur halb überzeugt.
    »Wo ist dein Herr
     hingegangen?« fragte Cranston.
    »Ich weiß nicht.
     Er ging einfach hinaus.«
    »Und wie war er?«
    »Sehr aufgeregt«,
     berichtete der Lehrjunge.
    »Weshalb?«
    »Oh, wegen der Truhe für
     die hohen Lords und wegen der Schlüssel.«
    »Sag mal«, sagte
     Cranston, beugte sich vor und versuchte, den Weinschlauch unter seinem
     Mantel zu verbergen. »Hast du deinem Meister geholfen, die Truhe zu
     machen, die Schlösser und die Schlüssel?«
    »Oh ja.«
    »Und wie viele Schlüssel
     hat er gemacht?«
    »Sechs.«
    »Nicht mehr - für
     den Fall, daß mal einer verlorengeht?«
    »Oh nein. Mein Meister
     hat gesagt, das sei verboten.«
    »War denn Besuch in der
     Werkstatt?« fragte Athelstan. »Jemand Geheimnisvolles in
     Mantel und Kapuze vielleicht?«
    »Nein.« Der Junge
     lachte. »Weshalb?«
    Sein Blick war flackernd, und
     er schlug die Augen nieder. Du verbirgst uns etwas, dachte Athelstan, aber
     es hat nichts mit dieser Sache zu tun.
    »Und wer von den hohen
     Herren war hier?«
    »Na, gestern kamen sie
     alle«, sagte Perrot. »Mit ihren Mänteln, Stiefeln und
     Biberpelzmützen war das ganze Haus voll. Sie mußten Truhe und
     Schlüssel zum Rathaus bringen. Draußen waren Soldaten mit einem
     Karren.«
    »Ja«, fuhr
     Athelstan fort, »aber bevor dein Meister die Schlüssel und die
     Schlösser fertig hatte, hat ihn da einer der hohen Herren allein
     besucht?«
    »Ich glaube nicht«,
     antwortete der Junge. »Ich wohne und schlafe hier. Der Meister
     bringt seine Besucher immer her, wenn er nicht gerade im Garten arbeitet.
     Da geht er gern allein hin. Er sagt, er

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