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Der Zorn Gottes

Der Zorn Gottes

Titel: Der Zorn Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Himmel. Aber er war
     kein schlechter Mann, Pater, und ich habe ihn geliebt.« Sie hustete,
     und gelber Speichel rann ihr aus dem Mundwinkel. Athelstan nahm einen
     Lappen und tupfte ihr behutsam die Lippen ab.
    »Gott weist keinen ab«,
     sagte er langsam, »der geliebt hat oder geliebt wurde.«
    Die Alte hustete wieder.
     Athelstan sah sich um.
    »Ursula, einen Becher
     Wasser!«
    Doch da fühlte er, wie
     die Finger, die seine Hand umfaßten, sich lösten. Er schaute
     hinunter. Griseldas Kopf hatte sich zur Seite gesenkt. Er tastete nach dem
     Pulsschlag an ihrem Hals, aber da war nichts. Er sah Ursula an, die ihm
     den verschrammten Becher entgegenhielt. Tränen rannen ihr über
     die fetten Wangen.
    »Sie hat uns verlassen«,
     sagte er leise. »Sie ist dahin. Uns vorausgegangen.«
    Er blieb noch eine Weile, um
     Ursula zu trösten. Seinen Protesten zum Trotz bestand sie darauf, ihm
     eine dicke Speckseite zu geben. Mit Mantel und Stola unter dem einen und
     der Speckseite unter dem anderen Arm wanderte Athelstan zurück zu
     seiner Kirche.
    Gerade erwachte Southwark zum
     Leben. Die Kleinhändler und Kesselflicker rumpelten mit ihren
     Handkarren zur Brücke hinunter, und schwitzende, fluchende
     Fuhrknechte plagten sich damit, ihre Ware, die sie vom Land
     hereinbrachten, über den Fluß zu schaffen, bevor die großen
     Märkte öffneten. Vor dem Hospital von St. Thomas bettelten zwei
     Aussätzige in schwarzen Lumpen um Almosen, während die Bezirksbüttel
     und Schergen nächtliche Ruhestörer, die sie erwischt hatten, an Händen
     und Füßen gefesselt zum Pranger hinunterführten. Zwei
     Betrunkene, die aus einem oberen Fenster gepißt hatten, hatte man Rücken
     an Rücken aneinandergebunden und ihnen die Hosen auf die Knöchel
     heruntergelassen; man würde sie durch die Straßen treiben und
     bis zur Mittagsstunde mit Abfall bewerfen lassen; dann würde ein
     Freund sie losschneiden dürfen. Die Behörden hatten offenbar
     auch ein Bordell ausgehoben; auf einem Karren saß eine ganze Ladung
     aneinandergefesselter Huren mit kahlgeschorenen Köpfen und mürrischen
     Gesichtern, die zum Fluß hinuntergebracht wurden, um ihre Strafe in
     Empfang zu nehmen. Ein gelber, magerer Hund knurrte Athelstan an; zähnefletschend
     sprang er nach dem Speck. Athelstan scheuchte ihn davon, bog in eine Gasse
     ein und klopfte bei Tab, dem Kesselflicker, an.
    Seine grauhaarige Frau öffnete
     mit besorgter Miene. Athelstan drückte ihr die Speckseite in die Hände.
    »Pater«, sagte
     sie leise, »das kann ich nicht.«
    »Doch, das kannst du.«
     Er deutete auf die Kinder mit den schmutzigen Gesichtern, die an ihrem
     zerlumpten Rock hingen. »Und sie können es ganz gewiß.
     Aber du darfst Ursula nichts verraten.«
    Er setzte seinen Weg fort und
     wollte gerade an seiner Kirchtür vorbeigehen, als er das Stück
     Pergament sah, das dort flatterte. Athelstan las die gekritzelten Worte: 
    Der Zorn Gottes wird brüllen
     aus den Wolken wie der Blitz.
    Fluchend riß er das
     Blatt herunter und warf es in den Dreck; ohne auf Pikes Grüße
     zu achten, stapfte er wütend zu seinem Haus.

 
    Sechs
    Umringt von einer Schar
     junger Erwachsener und Kinder, saß Athelstan im Mittelschiff seiner
     Kirche. Es war ein Werktag; die Eltern waren zur Morgenmesse gekommen und
     gingen jetzt ihren Alltagspflichten nach. Athelstans Schule, wie Cranston
     es scherzhaft nannte, kam zweimal in der Woche vormittags für zwei
     Stunden zusammen; der Ordensbruder versuchte, der Jugend Lesen und
     Schreiben sowie die Grundlagen der Arithmetik und der Geometrie
     beizubringen. Natürlich bekamen sie auch Unterricht in ihrem Glauben,
     und Athelstan war überrascht, wie gewitzt und eifrig sich manche
     seiner Schüler zeigten.
    Er schaute in die Runde, und
     sein Herz zog sich vor Mitgefühl zusammen, als er die schmalen,
     schmutzigen Gesichter sah, die geflickten Kleider und die zerfetzten
     Sandalen. Sie saßen im Kreis, auch Bonaventura fehlte nicht, und
     Athelstan versuchte ihnen zu erklären, daß Gott überall
     sei.
    Hin und wieder warf er einen
     verstohlenen Blick auf Pikes Sohn Thomas, der so dicht neben Watkins schöner
     Töchter Petronella saß, wie es nur ging. Athelstan betrachtete
     das rabenschwarze Haar des Mädchens, die glatte weiße Haut und
     die seegrünen Augen. Wie hatten Watkin und seine füllige Frau
     nur ein so schönes Kind hervorbringen können? Thomas war so sehr
     verliebt in sie, daß er Athelstan kaum

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