Der Zorn Gottes
eine dunkle Gestalt zum Fenster hereinschlüpfte.
»Ah, guten Morgen,
Bonaventura, mein treuestes Pfarrkind.«
Der große Kater tappte
leise zu seinem Herrn und warf hungrige Blicke auf die Hafergrütze,
die über dem Feuer blubberte. Athelstan stand auf und holte ihm ein
Schäfchen Milch aus der Speisekammer. Der Kater schleckte sie
zierlich auf und machte es sich dann vor dem Feuer gemütlich, während
sein Herr sich weiter über seine geplagten Pfarrkinder Gedanken
machte. Er brauchte Frieden im Gemeinderat, vor allem, wenn er Watkins Töchter
und den Sohn von Pike, dem Grabenbauer, trauen sollte.
»Oh Gott!« sagte
er zu dem inzwischen dösenden Bonaventura. »Das wird sein, als
fahre der Fuchs unter die Hühner!«
Bonaventura bewegte träge
den Kopf; das eine gesunde bernsteingelbe Auge blickte seinen Herrn voller
Mitgefühl an. Athelstan zog die Kontobücher näher zu sich
heran. Er fragte sich, ob die Frau mit der besessenen Stieftochter noch
einmal gekommen war, und ihn schauderte bei dem Gedanken, was ihn dort
erwarten mochte. Er hustete, tauchte den Federkiel ins Tintenfaß und
begann, die Spalten auszufüllen; er trug ein, was er für die
Ausschmückung der Kirche ausgegeben hatte, nachdem der Altarraum mit
neuen Platten ausgelegt worden war.
- die Zehn Gebote
ausgebessert 3 s
- den Pontius Pilatus gefirnißt
und einen neuen Vorderzahn eingesetzt 5d
- den Himmel erneuert, die
Sternbilder berichtigt & den Mond geputzt 20s
- den Sohn des Tobias gesäubert
4s 6d
- die Flammen der Hölle
aufgehellt, dem Teufel ein neues linkes Horn gemacht & den Schwanz
gereinigt 3s
- Ausgaben für die
Verdammten 2s 6d
- dem Jonas eine neues Hemd
gemalt & den Rachen des Wales entsprechend vergrößert 10s
6d
- für Adam und Eva neue
Feigenblätter gemacht 15s
Athelstan betrachtete seine
Liste und lächelte. Gerade wollte er weiterschreiben, als es plötzlich
leise an der Tür klopfte. Er stand auf, öffnete und schaute
hinaus. Es war die Zeit der Schlaflosen, kurz vor dem Morgengrauen: Der
Himmel wurde allmählich hell, und die Schatten begannen zu
verschwinden.
»Wer ist da?«
rief er und schaute sich um. Für Kinderstreiche war es noch zu früh.
»Wer ist da?« wiederholte Athelstan. Nur der Wind, der an
einem losen Fensterladen an der Kirche rüttelte,
störte die Stille. Athelstans Nackenhaare sträubten sich. Ein
Schauder lief ihm über den Rücken. Er starrte auf den Weg neben
der Kirche. War es irgendein Gauner? Ein Betrunkener aus den Bordellen von
Southwark? Plötzlich sah er, daß die kleine Pforte zur Kirche
halb offen stand. Er packte den Knüppel, den Cranston ihm gegeben
hatte, und ging darauf zu.
»Bruder Athelstan!«
Die Stimme schien hinter der
Kirche hervorzukommen, und wachsam ging der Ordensbruder um die Ecke,
gefolgt von einem noch neugierigeren Bonaventura. Wieder rief die Stimme
seinen Namen, und Athelstan spähte über die Grabsteine hinweg.
»Wer ist da?«
rief er erbost. »Hier ist kein Spielplatz, sondern ein Gotteshaus
und ein Gottesacker.«
»Dreh dich um, Bruder
Athelstan!«
»Warum sollte ich?«
Ein Armbrustbolzen schlug
neben seinem Kopf in die Kirchenmauer.
»Du hast mich überzeugt«,
rief Athelstan und drehte sich um; er schloß die Augen und ballte
die Faust. »Was willst du?«
»Ich bringe eine
Botschaft vom Zorn Gottes. Du bist ein Ordensmann und ein Priester des
Volkes. Was machst du dich gemein mit den fetten Lords der Erde?«
»Wenn du der Zorn
Gottes bist«, spie Athelstan, »dann bin ich Seine
Gerechtigkeit!«
»Hüte dich vor
Seinem Zorn«, sagte die Stimme klar und deutlich.
Athelstan schaute Bonaventura
an, dem dieses neue Spiel zu gefallen schien.
»Cranston hat recht«,
flüsterte er ihm zu. »Du taugst wirklich zu gar nichts.«
»Hüte dich«,
wiederholte die Stimme.
Endlich brach sich Athelstans
feuriges Temperament Bahn. »Ach, mach doch, daß du wegkommst!«
rief er, stapfte den Weg an der Kirche entlang zurück zu seinem Haus
und schlug die Tür dröhnend hinter sich zu.
Eine Zeitlang stand er mit
dem Rücken zur Tür und bemühte sich, seine zitternden Knie
zu beruhigen. Wer wagte es, ihn hier zu verhöhnen? Was würde
Cranston tun, wenn er das erfuhr? Athelstan marschierte in die
Speisekammer, goß einen Becher Wein ein und stürzte ihn
hinunter, bevor er sich wieder an den Tisch
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