Der Zorn Gottes
eines Blickes würdigte.
»Weiter, Pater!«
rief Crim.
»Natürlich.«
Athelstan rieb sich die Augen. Die Mühen des vergangenen Tages hatten
ihn müde gemacht. »Natürlich ist Gott überall; Er
sieht alles und hört alles.«
»Ist er auch in meiner
Hand?« fragte Crim.
»Natürlich.«
Crim schlug die Hände
zusammen. »Dann sitzt er fest. Ich habe ihn!«
»Nein, nein«,
erklärte Athelstan lachend. »So ist das nicht, Crim.«
»Aber Ihr habt gesagt,
er ist überall.«
»Crim.« Athelstan
lehnte sich zurück und verzog schmerzlich das Gesicht, als sein Knie
knackte. »Gott ist wie die Luft, die wir atmen. Er ist in uns, ist
ein Teil von uns, und zugleich ist er außerhalb von uns. Wie die
Luft: Du atmest sie ein, und sie ist gleichzeitig in deiner Hand.«
Mugwort, der Glöckner,
kam in die Kirche gestürmt, und Athelstan verzog das Gesicht, als der
kleine, koboldhafte Mann in der Turmnische verschwand und wie ein Dämon
am Glockenseil zu zerren anfing, um den mittäglichen Angelus zu läuten.
Athelstan sprach das Gebet, erhob sich und klopfte seine Kutte ab.
»Ihr könnt jetzt
spielen gehen. Crim, nicht aus dem Weihwasserbecken trinken. John und
James!« Er schaute die beiden Kesselflickersöhne mit gespielter
Strenge an; die beiden glichen sich wie ein Ei dem anderen mit ihren
schmutzigen Gesichtern und dem fettigen Borstenhaar. »Der
Taufbrunnen ist keine Burg. Ihr könnt draußen auf der Treppe
spielen, aber nicht in der Kirche. Petronella und Thomas, bleibt bitte
noch einen Augenblick hier.«
Die übrigen Kinder
grinsten hinter vorgehaltenen Händen, und unter viel »Oooh«
und »Aaah« trieb Athelstan sie zur Kirche hinaus. Daß
die beiden ein Liebespaar waren, war in der Pfarrgemeinde wohlbekannt -
das heißt, nur ihre Eltern wußten nichts.
»Pater?«
»Ja, was gibt's?«
Athelstan schaute in das angestrengte, bleiche kleine Gesicht, das ihn
unter der geteerten Spitzkappe hervor anspähte. »Was gibt's,
Roland?«
Der kleine Junge flüsterte
etwas, und Athelstan mußte sich niederhocken, um besser zu hören.
Der Sohn des Rattenfängers Ranulf ließ ausrichten, daß
sein Vater sich dringend mit ihm treffen wolle.
»Ja, ja«, sagte
er dann und richtete sich auf. »Sag deinem Vater, wir sprechen uns
morgen.«
Er biß sich auf die
Unterlippe, um sein Lächeln zu verbergen. Der Kleine war seinem Vater
wie aus dem Gesicht geschnitten; beide hatten die gleichen Gesichtszüge
wie die Nager, denen sie nachstellten. Der Junge rannte davon, den übrigen
nach, und Athelstan ging durch das Kirchenschiff zurück zu den beiden
jungen Turteltauben, die vor dem Lettner saßen.
»Pater.« Thomas
stand auf. »Ihr müßt bald mit unseren Eltern sprechen.«
»Warum?« Nervös
schaute Athelstan das Mädchen an. »Ist etwas passiert?«
Sie schüttelte lächelnd
den Kopf.
»Pater«, sagte
sie flehend, »wir sind gekommen und haben Euch unser Geheimnis
verraten. Ihr habt ins Buch des Blutes geschaut und festgestellt, daß
keine Verwandtschaft zwischen uns besteht, außer, daß Thomas'
Ururgroßonkel mit einer Verwandten meiner Großmutter
verheiratet war.« Das Mädchen zählte die Punkte an den
Fingern ab. »Wir sind bereit, uns unterrichten zu lassen. Thomas hat
eine gute Stellung beim Hafenmeister in Dowgate, und ich kann sehr gut
sticken. Pater, ich war es, die diese Altartücher gemacht hat. Warum
also kann nicht das Aufgebot bestellt werden?«
Athelstan hob die Hand.
»Gut. Ich werde am kommenden Sonntag nach der Messe mit euren Eltern
sprechen. Vielleicht kommen sie alle auf einen Becher Wein zu mir nach
Hause, um die gute Nachricht zu feiern?«
Das starre Lächeln blieb
auf seinem Gesicht, als die beiden Verliebten vor Freude aufsprangen und
Hand in Hand durch das Kirchenschiff liefen.
»Oh Gott!« flüsterte
er. »Nur noch fünf Tage Zeit, bis Sonntag der Bürgerkrieg
ausbricht.«
»Ich sollte wohl besser
auch dasein.«
Athelstan lächelte.
»Benedicta«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Wie lange
bist du schon hier?«
»Lange genug, um zu hören,
wie Ihr mit Euch selbst sprecht, Pater.«
Athelstan drehte sich um und
ging durch die Kirche auf die Witwe zu, die dastand, eine Hand an eine Säule
gelehnt. Sie sah elegant und schön aus wie immer. Das glatte,
olivfarbene Gesicht, von einer sahnegelben Haube umrahmt, diese Augen, die
spöttisch, heiter, tränenfeucht,
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