Der Zorn Gottes
Athelstan strich sich ein paar Krümel
von der Kutte. »Drei Morde«, murmelte er. »Wir wissen,
daß sie tot sind, aber wir wissen wenig mehr. Wie wurde Fitzroy
vergiftet, wenn er doch aß und trank, was alle anderen aßen
und tranken? Wie konnte Mountjoy in der Abgeschiedenheit seines eigenen
Gartens erstochen werden? Und Sturmey? Gerade noch steht er am Kai - und
im nächsten Augenblick schwimmt er mit einem Dolch in der Brust in
der Themse.« Athelstan verstummte, als lautes Schnarchen seine Worte
beantwortete. Er sah Sir John an, und der hatte den Kopf zurückgelegt
und die Augen geschlossen. Ein seliges Lächeln lag auf seinem
Gesicht. »Sir John! Herr im Himmel!« flüsterte Athelstan
und stieß ihn an. »Man findet nicht mal Eure Rippen, so fett
seid Ihr!«
»Füllig«,
erwiderte Sir John, öffnete die Augen und leckte sich die Lippen.
»Ich bin füllig, Athelstan.« Er tippte sich an die rote,
fleischige Nase. »Vergiß nicht, Bruder, der Lord Coroner mag dösen,
aber er schläft niemals. Was willst du wissen?«
»Sturmey … Ihr
wußtet etwas aus seiner Vergangenheit?«
»Weiß Gott! Aber
ich komme nicht drauf«, knurrte Cranston und stand auf. »Wir müssen
noch einmal in seine Werkstatt gehen.«
»Ich dachte, Gaunts
Leute hätten sie versiegelt?«
»Ja, aber ich habe die
Erlaubnis des Regenten, die Siegel zu entfernen, wenn Lord Clifford dabei
ist.«
»Ich hatte gehofft, ich
könnte nach Southwark zurück.«
»Kannst du aber nicht.
Gottes Werk will hier getan werden. Komm schon, Bruder.«
Athelstan folgte Cranston
hinaus und sah, wie der Coroner absichtlich den heftig
trinkenden Reliquienhändler anrempelte.
»Ich hasse solche
Mistkerle!« raunte er, als sie vor der Schenke standen. »Wenn
es nach mir ginge, würde die ganze Bande aus der Stadt verjagt. Sie
verkaufen soviel Holz vom wahren Kreuz Christi, daß man daraus eine
ganze Flotte von Schiffen bauen könnte.«
Athelstan sah, daß der
Coroner schlechte Laune bekam; er hakte sich bei ihm unter und lenkte das
Gespräch behutsam in ruhigere Gewässer mit der Frage, wann Lady
Maude wohl zurückkehren werde. Bald hatten sie Lord Cliffords Haus
gefunden, ein hübsches, dreigeschossiges Gebäude in der
Parchment Lane. Aber der junge Edelmann war nicht da.
»Er ist zum Arzt
gegangen«, erklärte ein livrierter Diener und führte sie
in einen kleinen, behaglichen Söller. »Aber er erwartet Euch,
Sir John.«
Athelstan lehnte die
angebotene Erfrischung höflich ab, aber Cranston ließ sich
nicht zweimal bitten. Er lehnte sich auf dem gepolsterten Sessel zurück,
nippte am Rotwein und bewunderte unverhohlen den Luxus im Zimmer.
Athelstan, der im stillen betete, Sir John möge nicht zuviel trinken,
betrachtete gleichfalls die Rüstung, die geschmackvoll ringsum an den
Wänden verteilt war: ein paar gekreuzte Handschuhe, ein Schild, zwei
Hellebarden sowie etliche verschnörkelte und wunderschön
geschnitzte Bögen und Armbrüste.
»Ein reicher Mann«,
bemerkte Athelstan.
»Natürlich«,
antwortete Sir John. »Ich habe mit seinem Vater gedient; er hat eine
Gruppe von Bogenschützen nach Frankreich geführt. Ein wilder
Soldat, möge er in Frieden ruhen -, und jetzt verfolgt sein Sohn so
hohe Ziele.«
Athelstan warf einen Blick
auf die dicken Wollteppiche, die den glänzenden Eichenboden
bedeckten, und das Silber auf der blanken Tischplatte, funkelnd im
Sonnenlicht, das durch ein buntes Glasfenster hereinfiel. Warum wollten Männer
wie Lord Adam, der so viel hatte, immer noch mehr haben? Seine
Betrachtungen wurden jäh unterbrochen, als Clifford hereingestürmt
kam. Er warf einem Diener seinen Mantel zu und kam herüber, um ihnen
freundlich die Hand zu schütteln. Athelstan sah die Schrammen und
Blutergüsse im Gesicht des jungen Mannes und merkte auch, wie steif
er die Schultern hielt.
»Seid Ihr schlimm
verletzt?« fragte der Bruder, als die Begrüßung vorüber
war.
Clifford grinste und verzog
dann das Gesicht. »Ein paar Schrammen und blaue Flecken im Gesicht.
Das Schlimmste ist eine Dolchwunde in der Schulter.«
»Das Werk des Ira Dei?«
»Ohne Zweifel. Ich
wurde bewußtlos geschlagen, bevor die Wache mich rettete. Die
Schweine haben mir sogar eine Nachricht an den Mantel geheftet.«
»Was stand darauf?«
»›Fordere nicht
heraus den Zorn Gottes!«‹ Vorsichtig bewegte Clifford die
Schulter. »Mir ist es
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