Der Zorn Gottes
finde es schwer zu glauben, Benedicta, daß Cranston tatsächlich
jemanden jagt, der solche grausigen Dinge stiehlt.«
Sie verschränkte die
Arme und starrte in den Dunst über der Flußmitte.
»Manchmal hasse ich
diesen Ort«, murmelte sie. »Ich habe schon daran gedacht,
irgendwohin aufs Land zu ziehen - wo es friedlich und sauber ist.«
»Das darfst du nicht.«
Athelstan biß sich gleich auf die Lippe. Dann sah er sie an. »Wenn
du fortgingest, Benedicta, würde ich dich vermissen.«
»Sehr wahr.« Sie
grinste. »Und wer würde sich um Euch und Cranston kümmern?«
Sie hasteten über die Brücke
und nach Eastchepe, folgten den Gassen zur Mark Lane und nach Aldgate und
bogen dann nach rechts in die Straße, die zu den schimmernden
Sandsteingebäuden des Minoritinnenklosters führte. Die Sonne
ging auf, und Athelstan wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Wir hätten reiten
sollen«, brummte er. »Der Himmel allein weiß, warum ich
hier bin.«
»Sie hat doch sonst
niemanden.«
»Aye«, knurrte
er. »Das genügt als Grund.«
Die Nonnen begrüßten
ihn freundlich und bestanden darauf, daß er und Benedicta sich im
Refektorium erfrischten, bevor die Novizenmeisterin, eine stämmige,
aber sehr freundlich blickende Nonne, ihnen erzählte, was in der
vergangenen Nacht geschehen war.
»Wir fanden sie auf dem
Boden liegend«, begann sie. »Halb erwürgt von
dem Bettlaken, das sie sich um den Hals geschlungen hatte. Wenn es nicht
gerissen wäre, und niemand das Gepolter gehört hätte
…« Sie spreizte die Hände. »Dann müßte
ich Euch jetzt mit Bedauern ihren Tod melden. Bruder Athelstan, was können
wir tun? Wir haben hier ein Mädchen, ein Kind noch, das Selbstmord
begehen könnte!«
Der Bruder stand auf. »Laßt
mich zu ihr.«
Die Novizenmeisterin führte
sie durch einen Torbogen auf einen kühlen Gang und klopfte an eine
Zellentür. Eine andere Nonne öffnete, und die Novizenmeisterin führte
sie hinein zu Elizabeth Hobden, die mit dunklen Augen und bleichem Gesicht
drinnen auf der Bettkante saß. An ihrem zarten weißen Hals
leuchtete ein violetter Bluterguß.
»Wie geht es Anna,
ihrer Amme?« fragte Benedicta.
»Oh, der geht es gut.
Sie ißt und trinkt, als wäre morgen der Jüngste Tag«,
antwortete die Nonne.
Athelstan nahm einen Schemel
und setzte sich zu Elizabeth. Er blickte zu den beiden Nonnen auf. »Schwestern,
würdet Ihr uns bitte ein Weilchen allein lassen? Lady Benedicta
bleibt bei uns.«
Die Nonnen gingen. Benedicta
blieb an der Tür stehen, und Athelstan ergriff die schlaffe Hand des
Mädchens.
»Elizabeth, schau mich
an.«
Sie hob den Blick. »Was
wollt Ihr?« murmelte sie.
»Ich will helfen.«
»Das könnt Ihr
nicht. Sie haben meine Mutter ermordet, und jetzt bin ich eine Verfemte.«
Athelstan sah das Mädchen
an; dann fiel sein Blick auf das Kruzifix, das hinter ihr an der Wand
hing. Er nahm es ab und hielt es dem Mädchen vors Gesicht.
»Elizabeth, glaubst du
an Christus?«
»Ja, Pater.«
»Dann leg deine Hand
auf dieses Kruzifix und schwöre, daß dein Vorwurf wahr ist.«
Das Mädchen stürzte
sich förmlich auf das Kreuz. »Ich schwöre es!« sagte
sie mit fester Stimme. »Beim Leib Christi, ich schwöre es!«
Athelstan hängte das
Kreuz wieder auf und hockte sich neben sie. »Jetzt versprich mir
etwas.«
Das Mädchen starrte ihn
an.
»Versprich mir, daß
du keine Dummheiten mehr machen wirst. Gib mir eine Woche Zeit«, bat
er. »Nur eine Woche. Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Das Mädchen nickte, und
Athelstan zuckte zusammen, als er den Hoffnungsschimmer in ihrem Blick
sah.
»Ich tue, was ich kann«,
wiederholte er. Sanft tätschelte er ihr die Hand und ging dann
hinaus.
»Was könnt Ihr
denn tun?« fragte Benedicta, als das Tor des Minoritinnenklosters
sich hinter ihnen geschlossen hatte.
»Ich weiß nicht«,
antwortete Athelstan. »Aber vielleicht fällt Cranston etwas
ein.« Er seufzte. »Ich hatte eigentlich vorgehabt, Sir John
zumindest bis Montag in Ruhe zu lassen. Aber ich werde ihn wohl daran
erinnern müssen, daß das Böse niemals ruht.«
Durch Aldgate und Cornhill
gingen sie zurück in die Stadt. Der Pranger an der Ecke der Poultry
war voll mit Übeltätern, die wegen Ruhestörung am
Freitagabend verhaftet worden waren, und in dem großen Eisenkäfig
am Wasserspeicher drängten sich Nachtschwärmer und
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