Der Zorn Gottes
ohne
weitere Erklärungen davon, sagte nur, er wolle mit dem Truchseß
sprechen, der an jenem Abend anwesend war.
Cranston hatte nichts
dagegen. Er wußte, sein »kleiner Bruder« war einem Hasen
auf der Spur und würde sich solange in das Problem vertiefen, bis er
eine Lösung gefunden hätte. Außerdem war der Coroner nur
zu gern bereit, sich hinzusetzen und mit der reizenden Benedicta zu
schwatzen, die ihn eingehend nach Athelstans Geschichte von einem Dieb
befragte, der die abgeschlagenen Verräterköpfe vom Torhaus an
der London Bridge stahl. Schließlich kam Athelstan zurück.
»Nun?« fragte
Cranston. »Hast du was gefunden? Hattest du Lust, deine Einsichten
mit gewöhnlichen Sterblichen zu teilen?«
Athelstan grinste und tippte
sich an die Schläfe. »Es ist noch alles durcheinander«,
erklärte er. »Ich muß mich hinsetzen, alles aufschreiben
und nachdenken.«
»Dazu gibt es keinen
besseren Ort als das ›Heilige Lamm Gottes‹«, meinte
Cranston.
Er führte sie zum
Rathaus hinaus und auf einen geschäftigen Marktplatz. Die Stände
waren inzwischen aufgebaut, und das Tagesgeschäft konnte beginnen.
Lehrlinge priesen lautstark ihre Waren an, riefen Preise, und versuchten
ab und zu, Vorübergehende am Ärmel festzuhalten. An der Straßenecke
stand Cranstons verhaßter Reliquienhändler und sang die Litanei
dessen, was er zu verkaufen hatte. Der Coroner blieb stehen, als der Kerl
Reliquien aufzählte, vom Stein, mit dem Goliath erschlagen worden
war, bis zum Arm des Hl. Sebbi.
»Ich habe diese
Reliquien«, schrie der Mann, »an einem geheimen Ort, und ich
habe sie zu einem besonders hohen Preis vom Erzbischof von Köln
gekauft. Der Kopf des Täufers Johannes, wunderbar frisch, ganz wie an
dem Tag, da der große Märtyrer starb. Ich sage Euch, Ihr Damen
und Herren, Ihr frommen Bürger von London, sein Haar ist rot und
weich, seine Haut so glatt wie die eines Kindes.«
Cranston grinste verächtlich
und schüttelte den Kopf.
»Warum macht ihr
verdammten Pfaffen diesem dummen Gewerbe kein Ende?« knurrte er.
»Ich frage mich, woher
er die Haare des Täufers Johannes haben mag«, sagte Benedicta.
Cranston glotzte sie an.
»Was hast du gesagt?« flüsterte er.
»Wie kommt er an den
Kopf von Johannes dem Täufer? Und woher weiß er, daß der
Prophet rote Haare hatte?«
Cranston packte die überraschte
Frau und küßte sie auf beide Wangen.
»Kommt!« flüsterte
er. »Zum ›Heiligen Lamm Gottes‹!«
Der Coroner drängte sich
durch das Gewimmel. An der Art, wie er die Leute anbrüllte, ihm Platz
zu machen, sah Athelstan, wie aufgeregt er war. Als sie in der Schenke
angekommen waren, wühlte er in seiner breiten Börse und holte
eine Silbermünze heraus.
»Benedicta, geh damit
zu dem Reliquienhändler. Sag ihm, du hast noch fünf davon und
willst den Kopf von Johannes dem Täufer kaufen.«
»Oh, um Himmels willen,
Sir John!« warf Athelstan ein. »Ihr wißt doch, daß
der Mann ein Betrüger ist. Es wird keinen Kopf geben, nur irgendeine
dumme Taschenspielerei oder Täuschung. Wer weiß, vielleicht
wird Benedicta sogar ausgeraubt?«
»Still, Athelstan!«
»Aber Sir John!«
flehte Athelstan. »Ihr wißt es, und ich weiß es.«
»Was wissen wir?«
schnappte Cranston.
»Er kann den Kopf des Täufers
nicht haben …« Athelstan sprach nicht weiter. Er grinste
Cranston an. »Ah! Um den Hl. Paulus zu zitieren, Mylord Coroner, ich
sehe wie durch einen dunklen Spiegel.«
Cranston klatschte in die Hände
wie ein Kind, und Benedicta, der die Versicherungen der beiden Männer
in den Ohren klangen, ging, Cranstons Silber fest in der Hand, zurück
über die Cheapside. Athelstan und Cranston sahen ihr nach. Benedicta
blieb bei dem Reliquienhändler stehen, flüsterte ihm etwas zu,
und der Mann hüpfte flink wie eine hungrige Möwe von seinem
Stand herunter. Er führte sie durch eine Gasse davon, und Athelstan
und Cranston folgten den beiden eilig. Cranston war aufgeregt, und
Athelstan fürchtete für Benedictas Sicherheit, aber der Mann
schien harmlos zu sein. Endlich bog er in eine Gasse ein, die zur Old
Jewry hinunterführte. Vor einer Haustür blieb er stehen und
sagte etwas zu Benedicta; sie nickte, und beide gingen hinein. Cranston
und Athelstan eilten ihnen nach.
»Laß dem Mistkerl
ein bißchen Zeit«, raunte Cranston.
Athelstan nickte. Cranston zählte
leise,
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