Der Zorn Gottes
Huren, die lärmten
und johlten, als sie Athelstan mit einer Frau vorbeikommen sahen. In
Poultry, Mercery und Westchepe dagegen war noch alles still, denn die
Marktglocke läutete samstags erst spät. Lehrlinge
bauten die Stände auf, während Straßenkehrer und
Mistsammler halbherzige Versuche unternahmen, den Abfall und Müll des
vergangenen Tages zu beseitigen.
Als sie bei Cranston
klopften, öffnete ihnen eine Magd und teilte vergnügt mit, daß
Lady Maude noch im Bett liege; Sir John aber sei nach St. Mary Le Bow zur
Messe gegangen.
Athelstan verbarg sein Lächeln
und führte Benedicta geradewegs hinüber zum »Heiligen Lamm
Gottes«, wo sie den Coroner in seiner Lieblingsecke beim Frühstück
mit Fleischpastete und einem Krug Ale antrafen. Er begrüßte sie
stürmisch und gab keine Ruhe, bis auch Benedicta und Athelstan etwas
aßen. Dann hörte er aufmerksam zu, während Athelstan von
seinem Besuch bei den Minoritinnen erzählte.
»Was können wir
tun?« fragte Athelstan schließlich leise.
Cranston versenkte die Nase
in seinem Krug. »Nun, zunächst einmal haben wir keinen Beweis
dafür, daß Walter und Eleanor Hobden ein Verbrechen begangen
haben; nach dem Gesetz haben wir also kein Recht, sie zu verhören.
Aber ich bin der Coroner des Königs in der Stadt, und ich habe die
Befugnis, einen Leichnam zu exhumieren. Hobden sagte, seine Frau ist in
St. James Garlickhythe begraben?«
Athelstan nickte.
»Gut. Dann fangen wir
da an.«
»Dürfen wir das
denn, Sir John? Was wird es beweisen?«
»Erstens darf ich
alles. Und zweitens - wer weiß, was wir finden?« Cranston
schaute aus dem Fenster. »Wir werden bis zum Abend warten müssen.
Ein Teil des Friedhofs dort wird als Markt benutzt.«
Athelstan schloß die
Augen und seufzte. In St. Erconwald gab es soviel zu tun, aber, wie Sir
John sagen würde: »Aleajacta est - die Würfel sind
gefallen.«
»Nun, bist du nicht
froh?« fragte Cranston und hob den Krug halb zum Munde.
»Da ist noch etwas, Sir
John.« Und Athelstan berichtete von der Nachricht, die Ira Dei ihm
am Abend zuvor hinterlassen hatte, und versuchte, Benedicta zu ignorieren,
die verärgert nach Luft schnappte, weil er ihr von der Gefahr nichts
erzählt hatte.
Cranston wischte sich mit dem
Handrücken den Mund ab. »Das heißt nichts«, sagte
er dann. »Gaunt war dumm. Ira Dei würde dir kaum vertrauen.«
»Ja, aber warum
antwortet er mir so schnell?« fragte Athelstan. »Wer wußte
von meiner Botschaft an Ira Dei?«
»Gaunt und die
Gildemeister. Als sie uns vom Überfall auf Clifford berichteten,
wurde auch darüber gesprochen.«
Das Gespräch brach ab,
als die Wirtsfrau mit einer Schüssel Zuckerpflaumen für Sir John
an den Tisch trat. Ganz in Gedanken nahm auch Athelstan eine und steckte
sie in den Mund. Er wollte weitersprechen, merkte aber, wie dick die
Pflaumen mit Honig und Zucker umhüllt waren. Sie klebten an Zähnen
und Gaumen. Er entschuldigte sich, ging zur Tür und versuchte, den
klebrigsüßen Leckerbissen loszuwerden. Plötzlich hielt er
inne und starrte auf seine Finger.
»Wann habe ich das
zuletzt getan?« fragte er sich leise.
Er sah sich nach Benedicta
und Cranston um, die die Köpfe zusammengesteckt hatten und
miteinander tuschelten; zweifellos erzählte der Coroner, was sich im Rathaus zugetragen hatte.
Athelstan ging zu dem Lavarium in der hinteren Ecke der Schenke, tauchte
die Hände in Rosenwasser und wischte sie an einem Handtuch ab. Er
empfand ein leises Hochgefühl, denn zum ersten Mal seit Beginn dieser
grausigen Morde sah er ein Licht flackern in der Dunkelheit. Er schaute zu
einem gesalzenen Schinken hinauf, der am Deckenbalken der Schenke hing,
und dachte an die Worte seines Mentors Pater Paul: »Denke immer
daran, Athelstan«, hatte der Alte dröhnend gesagt, »jedes
Problem hat eine schwache Stelle. Finde sie, brich sie auf, und die Lösung
wird nicht lange auf sich warten lassen.«
»Was ist los mit dir,
Bruder?« brüllte Cranston.
Athelstan setzte sich wieder.
»Sir John, seid Ihr heute beschäftigt?«
»Natürlich! Ich
bin ja kein verdammter Pfaffe!«
Athelstan lächelte.
»Sir John, laßt uns die Schritte unseres Mörders noch
einmal zurückverfolgen. Ich will noch einmal zum Rathaus gehen, in
den Garten, wo Mountjoy starb, und in den Bankettsaal, in dem Fitzroy
vergiftet wurde. Benedicta, möchtest
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