Der Zorn Gottes
und als er bei dreißig angekommen war, trat er mit aller
Kraft gegen die klapprige Tür, daß sie aus den rostigen Angeln
flog. In dem Haus war es schmutzig und muffig, und als sie durch den Flur
liefen, ließ ein schrecklicher Gestank Athelstan würgen. Sie hörten
laute Stimmen; auch Benedictas war darunter. Sie fanden sie in einer
kleinen Kammer im Hinterhaus, zusammen mit dem Reliquienhändler und
seinem jungen Gehilfen. Benedicta war kreideweiß, und auch die
beiden Betrüger erbleichten vor Schrecken über den Tumult und
Cranstons Gebrüll. Vor ihnen auf dem Tisch lag der abgeschlagene Kopf
eines rothaarigen Mannes mit halbgeschlossenen Augen; die violetten Lippen
klafften auseinander. Wenn die beiden Reliquienhändler hätten
fliehen können, wären sie verschwunden, aber so kauerten sie
sich in eine Ecke, als der Coroner den Schädel packte und hochhob.
Benedicta hatte genug gesehen; sie preßte eine Hand vor den Mund und
stürzte zur Tür hinaus auf die Straße.
»So, so, meine Böckchen!«
Cranston grinste. »Ihr seid beide verhaftet.«
»Weshalb?« rief
der Reliquienhändler.
»Wegen Diebstahls von
Eigentum der Krone, mein Freund, wegen Fälschung, wegen betrügerischer
Handlungen und wegen Blasphemie. Das ist nicht der Kopf von Johannes dem Täufer;
er gehört Jacques le Roux, dem französischen Piraten, der in der
Themsemündung gefangengenommen und nach Recht und Gesetz hingerichtet wurde!«
Cranston schaute sich in der Kammer um. »Mein Gott, hier stinkt es
schlimmer als bei den Metzgern von Newgate!«
Athelstan vor sich
herschiebend, ging er zur Tür hinaus; dann zog er den Schlüssel
aus dem Schloß und sperrte die beiden sehr bedrückt aussehenden
Reliquienhändler ein.
»Türen und Fenster
gibt's hier nicht, Athelstan. Die Gauner können drinbleiben, bis ich
den Schlüssel an die Bezirksbehörden übergeben habe. Jetzt
wollen wir sehen, was dieses Schatzhaus noch so alles enthält.«
Athelstan folgte ihm, gab
aber nach einer Weile angeekelt von den Dingen, die sie entdeckten, auf
und ging zu Benedicta auf die Straße hinaus.
»Bei den Zähnen
der Hölle!« flüsterte er, Cranston zitierend. »Man
sollte das Haus bis auf die Grundmauern niederbrennen.«
Cranston aber kam
stolzgeschwellt heraus. Er zog die Haustür hinter sich zu und schloß
sie ab.
»Benedicta«,
sagte er, »du bist ein Engel. Wo sonst soll ein Reliquienhändler
einen Kopf finden, den er als Heiligenschädel verkaufen kann - wenn
nicht auf dem Richtplatz?« Der Coroner rieb sich die Hände.
»Wieder ein kleiner Sieg für den alten John, hm?«
Sie gingen zurück zur
Cheapside und warteten, während Cranston die Behörden
informierte und zu dem Haus schickte. Einer der Büttel aß
gerade eine Fleischpastete und mampfte unverschämt, während
Cranston mit ihm redete. Der Coroner grinste nur, als er die Männer
davonmarschieren sah.
»Ich habe ihnen nicht
gesagt, was sie erwartet«, sagte er heiter. »Aber der Kerl mit
seiner Fleischpastete wird bald eine kurze, einprägsame Lektion
erhalten.«
Er führte die beiden zurück
ins »Heilige Lamm Gottes« und lachte laut, als
Benedicta sich fragte, wie jemand dumm genug sein könne, solchen
Gaunern zu vertrauen.
»Dumm!«
wiederholte er. »Du kannst in jede beliebige Stadt in England,
Frankreich oder jenseits des Rheins gehen, und du wirst Männer
finden, Kirchenfürsten, hochgebildete und intelligente Priester, die
ein Vermögen für einen schmutzigen Knochensplitter oder einen
Lumpenfetzen ausgeben. Weißt du, hier in London habe ich von einem
Kaufmann gehört, der hundert Pfund Sterling für ein Mundtuch
bezahlt hat, mit dem St. Cuthbert sich die Lippen abgetupft hat. Bei den
Eiern des Teufels!« Murmelnd entschuldigte er sich bei Benedicta.
»Aber bei den Zähnen der Hölle! Ich wünschte, alles wäre
so leicht. Bruder, hat unser Ausflug ins Rathaus irgendwas geklärt?«
Cranston ließ seinen mächtigen
Hintern auf einen Stuhl sinken und schaute seinen Schreiber
mitleidheischend an. »Athelstan«, flehte er, »früher
oder später wird der Regent meinen Bericht verlangen.«
Der Bruder starrte auf die
Tischplatte. »Mal sehen«, begann er langsam. »Wir
wissen, warum Mountjoy und die beiden anderen ermordet wurden. Nicht wegen
einer geheimen Sünde oder wegen persönlicher Rivalitäten,
sondern um dem Regenten Knüppel zwischen die Beine zu
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