Der Zorn Gottes
Athelstan fort, »wurde Fitzroy ohne
Zweifel hier in diesem Raum vergiftet, weil er etwas aß, das niemand
sonst aß.«
»Was denn?« rief
Hussey und beugte sich vor. »Genug der Rätsel, Bruder!«
»Fitzroy wurde von
jemandem vergiftet, der wußte, daß er ein Schleckermaul war.
Jawohl, Fitzroy hatte eine große Vorliebe für Zuckerwerk.
Manche bezeichneten ihn sogar als Vielfraß. Ich glaube, es geschah
folgendermaßen: Jemand, der wußte, wo Fitzroy sitzen würde,
legte irgendein Zuckerwerk, etwas sehr Süßes, neben seinen
Silberteller, bevor das Bankett begann. Nur der dicke, klebrige Zucker
verbarg die Tatsache, daß diese Köstlichkeit mit Gift getränkt
war. Und dieser Zucker war es, was ich im Mund des Töten entdeckte.
Und so, vermute ich, wurde Fitzroy getötet.«
»Unsinn!« rief
Goodman, sein arrogantes Gesicht war jetzt totenbleich. »Hätte
Fitzroy das nicht merkwürdig gefunden?«
»Nein«, sagte
Athelstan. »Erstens war er ja zu einem Bankett gekommen. Vielleicht
dachte er, ein Diener habe die Süßigkeit fallengelassen oder
als besondere Aufmerksamkeit für ihn hingelegt. Und zweitens …«
Athelstan lächelte. »Ihr habt Euch alle hingesetzt. Vor jedem
von Euch steht ein kleiner silberner Teller. Neben jeden habe ich, bevor
Ihr hereinkamt, eine Süßigkeit gelegt. Wie viele von Euch haben
sie inzwischen aufgegessen? Haben sie geistesabwesend in den Mund
gesteckt?«
Denny, Goodman und Bremmer
grinsten verlegen.
»Woher wißt Ihr,
daß sie nicht vergiftet war?« bellte Cranston und genoß
ihren verdatterten Gesichtsausdruck. Schwerfällig erhob er sich.
»Aber Ihr habt getan, was jeder tun würde, der an einem Tisch
sitzt und aufs Essen wartet. Ihr habt eine Leckerei gefunden und in den
Mund gesteckt. Fitzroy war nicht anders. Ja, bei seinem Appetit konnte er
wohl kaum widerstehen.«
»Ja, aber wer hat sie
ihm hingelegt?«
Die Atmosphäre wurde
eisig. Gaunts Frage hing wie ein Damoklesschwert über ihnen. Cranston
deutete auf Lord Adam Clifford.
»Ihr, Sir, seid ein
Verräter, ein Lügner und Mörder! Ich beschuldige Euch, in böser
Absicht den Tod des Sir Thomas Fitzroy, des Peter Sturmey und des Sir
Gerard Mountjoy herbeigeführt zu haben!«
Clifford sprang auf; seine
Augen waren riesig und sein Gesicht rot vor Zorn. »Du fetter alter
Trottel!« brüllte er. »Wie kannst du es wagen?«
Wie vom Donner gerührt
lehnte sich Gaunt auf seinem Stuhl zurück; die Gildeherren starrten
Cranston fassungslos an. Clifford kam drohend auf den Coroner zu, die Hand
am Dolch. Sir John zog sein Schwert, aber Gaunts Gardehauptmann trat rasch
zwischen die beiden Männer.
»Lord Adam, ich schlage
vor, Ihr setzt Euch wieder hin«, sagte der Soldat leise und sah sich
über die Schulter nach seinem Herrn um. Gaunt hatte seine Fassung
wiedergefunden und nickte stumm, ohne seinen jungen Adjutanten aus den
Augen zu lassen.
»Setzt Euch, Adam«,
sagte er leise. »Mylord Coroner, fahrt fort. Aber sollten sich Eure
Anschuldigungen als falsch erweisen, so werdet Ihr Euch dafür
verantworten müssen.«
»Ich werde mich vor
Gott verantworten«, erwiderte Cranston und schaute in die Runde.
»Jetzt will ich Euch eine Geschichte erzählen«,
begann er, »von einem Königreich, in dem der König ein
Kind ist und alle Macht bei seinem Onkel, dem Regenten, liegt. In
Abwesenheit eines starken Herrschers entstehen Fraktionen, die sich um die
Macht balgen. Die Adligen bei Hofe vertiefen sich in tödliche Rivalitäten,
in der Stadt wetteifern mächtige Bürger um die Herrschaft. Das
arbeitende Volk draußen auf dem Land murrt und führt verräterische
Reden. Es bilden sich geheime Zirkel und Gruppen, die Aufstandspläne
schmieden.«
»Seht Euch vor, Sir
John!« zischte Gaunt.
Athelstan schloß die
Augen und betete, daß Cranston nicht zu weit gehen möge.
»Wenn ich lüge«,
antwortete Sir John, »soll mir jemand widersprechen.« Er sah
die Gildeherren an, aber alle schwiegen - auch Clifford, dem jetzt die
Schweißperlen übers Gesicht rannen.
»Ein Führer tritt
auf den Plan«, fuhr Cranston fort. »Ein geheimnisvoller Mann,
der sich Ira Dei nennt, der ›Zorn Gottes«. Er führt die
›Große Gemeinschaft des Reiches‹, einen geheimen Rat
von Bauernführern. Sie wissen nicht, wer er ist, und auch sonst weiß
es niemand. Er kommt und geht und sät die Saat der Zwietracht. Und
nun
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