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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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gar kein Papier … nur Bücher … Ich bewahre kein Schreibpapier auf …«
    »Du bist ein Langweiler, weißt du das?«, seufzte
     Sewastjanow; es klang beleidigt.
    »Foltern Sie mich nicht … Ich hab doch nichts getan …«
    »Foltern? Das hat keiner mit dir vor. Meinst du, ich
     schnalle dich auf den Bock und peitsche dir mit dem Ochsenziemer die Eier? Da irrst
     du gewaltig, Smirnow. So was tun bei uns höchstens die Opritschniki. Das ist bei
     denen Sitte, da kann man nichts machen. Sie sorgen öffentlich für Schuld und Sühne,
     um den Staatsfeinden Angst einzujagen, das ist ihr Amt, von daher schlagen sie gerne
     mal über die Stränge. Wir Geheimdienstler sind kultivierte Menschen. Klötenfitschen,
     das ist nicht unser Fach.«
    »Ich war’s nicht … Das hat mir wer angehängt«, murmelte
     Smirnow.
    »Na klar. Jetzt sag bloß noch: der Feind!«, sagte der
     Untersuchungsrichter und gähnte.
    »Angehängt … untergeschoben …«
    »Und du hast es vor lauter Schreck weiterverbreitet, ja?«
    »Ich hab nichts getan … Ich weiß nichts darüber …«
    »Schluss mit dem Theater, Dummkopf.«
    Mit einer schroffen Bewegung riss Sewastjanow Smirnows
     Kopf nach hinten, setzte das Injektionsgerät an die Halsschlagader und zog ab. Die
     kleine weiche Ampulle platzte, die Injektion gelangte in die Blutbahn des
     Gefangenen. Der Körper bäumte sich auf, Smirnow stieß einen kurzen Schrei aus und
     erstarrte. Seine großen grauen Augen weiteten sich noch mehr, wurden rund und
     gläsern. Der Mund klappte auf und blieb offen wie in stummer Frage. Man hätte denken
     können, er wäre von einem Riesenskorpion gebissen worden. Die magere Gestalt in
     ihrer angespannten Haltung wurde von einem Schüttelfrost ergriffen. Sewastjanow ließ
     den Haarschopf los und ging zum Tisch, wo er das Gerät in den Koffer zurücklegte. Er
     nahm sich eine Zigarette und rauchte.
    Sein Faustkeil gab einen leisen, tremolierenden Piepton
     von sich.
    »Hauptmann Sewastjanow, ich höre«, sagte der
     Untersuchungsrichter und legte die Zigarette im Aschenbecher ab.
    Oberhalb des Faustkeils erschien Oberst Samochwalows
     Konterfei.
    »Grüß dich, Nikolai.«
    »Wünsche Gesundheit, Genosse Oberst.«
    »Ah, ich sehe, du arbeitest«, sagte der Oberst mit einem
     Blick in den Raum hinein. »Dann will ich nicht stören.«
    »Sie stören nicht, Genosse Oberst.«
    »Ich möchte, dass du Schmulewitsch ein bisschen unter die
     Arme greifst bei der Sache mit der Kuh. Er hat sich da zu tief hineinverstrickt, es
     gibt keine Fortschritte, die einen hoffen ließen.«
    »Wie Sie befehlen«, sagte Sewastjanow lächelnd. »Das
     kriegen wir hin.«
    »Nimm dich der Sache an, Kolja. Sonst steht Archipow bei mir auf
     der Matte als wie der Häscher von Hunan. Drei Wochen Fehlanzeige, kriegst die
     Motten! Wirf ein Auge drauf. Die Order kommt nach.«
    »Zu Befehl, Genosse Oberst.«
    »Dann mach’s mal gut.« Samochwalow verabschiedete sich mit
     einem müden Zwinkern und löste sich in Luft auf.
    Der Hauptmann nahm die Zigarette wieder auf, tat einen
     tiefen Zug und ließ den Blick auf dem erstarrten Untersuchungsgefangenen ruhen. Dann
     entnahm er der »Gans« ein Hämmerchen, mit dem er spielte, bis die Zigarette zu Ende
     geraucht war. Er drückte sie aus und trat vor den Gefangenen hin. Strich sich über
     den Schnauzbart.
    »Na, Smirnow, wie geht’s uns denn jetzt?«
    »Ich … ich … ich …«, drang es zwischen den fahlen Lippen
     hervor.
    »Hast du schon gemerkt, dass du jetzt aus Glas bist?«
    »Ich … ah … ich …«
    »Du bist aus Glas, Smirnow. Da schau her!«
    Der Hauptmann schlug sein Hämmerchen leicht gegen die
     Schulter des Gefangenen.
    Das erzeugte einen feinen, hellen Ton, wie gegen Glas. Als
     Nächstes schlug der Hauptmann das Hämmerchen gegen Smirnows Knie. Wieder klang es
     hell. Der Hauptmann pochte ans andere Knie. Dann gegen den Arm. Dann gegen die
     bleiche, schweißige Nase des Untersuchungsgefangenen.
    Das Hämmerchen tönte.
    Die Augen des Untersuchungsgefangenen füllten sich
     randvoll mit Entsetzen. Der Tremor verließ ihn, er erstarrte vollends, atemlos.
    »Wie eine kostbare Vase!«, lachte Sewastjanow, dem
     Untersuchungsgefangenen in die irre werdenden Augenstarrend. »Ein
     kristallener Ganter! Alles an dir ist aus Glas: Arme, Beine, Eingeweide. Leber,
     Nieren, Milz – glasklares Glas. Selbst der Dickdarm klirrt. Und die Eier klingen wie
     die Glocken von Waldai! Was bist du für ein erstaunlicher Mensch,

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